Obwohl ich mein gesamtes berufliches Leben in der Finanzwelt verbracht habe, bin ich der Ansicht, dass sich eine Börsenkennzahl zu oft in unsere Betrachtung der Wirtschaft einschleicht. Diese Kennzahl ist der Börsenwert eines Unternehmens.
Der Börsenwert, auch oft Marktkapitalisierung genannt, ergibt sich, wenn man die Zahl der ausstehenden Aktien mit dem aktuellen Börsenkurs multipliziert. Es ist der theoretische Gesamtwert eines Unternehmens. Könnte man alle Aktien eines Unternehmens auf einmal zum aktuellen Börsenkurs kaufen, dann wäre der Preis für das gesamte Unternehmenso hoch wie der Börsenwert.
Das ist aufgrund von begrenzter Handelbarkeit allerdings nur in der Theorie denkbar. Trotzdem ist der Börsenwert eine sehr nützliche Kennzahl, um zu betrachten, wie ein Unternehmen in seiner Gesamtheit an der Börse gerade bewertet wird.
Was mir aber missfällt, ist, dass diese Kennzahl in Wirtschaftsmedien andauernd genutzt wird, um die Bedeutung von Unternehmen zu messen. Oft spricht man dann von den „größten“ oder „wichtigsten“ Unternehmen und begründet dies mit deren Börsenwerten. Das Problem dabei ist aber, dass sich die Börse an den zukünftigen Gewinnaussichten eines Unternehmens orientiert und sich nicht wirklich dafür interessiert, welche Bedeutung ein Unternehmen in seiner Gesamtheit für die Wirtschaft hat.
Ein paar Beispiele zeigen das deutlich. Der Ölgigant Royal Dutch Shell (LON:RDSa) hat im letzten Jahr einen Umsatz in Höhe von umgerechnet circa 345 Mrd. Euro erwirtschaftet, hat ungefähr 82.000 Angestellte und produziert täglich ungefähr 3.666.000 Barrel Öl und Öläquivalente. Dafür wurde erAnfang der Woche mit einem Börsenwertvon circa 230 Mrd. Euro belohnt.
Beim etablierten Autohersteller Fiat Chrysler Automobiles sehen die Zahlen deutlich anders aus. Das Unternehmen hat 2018 circa 110 Mrd. Euro Umsatz erwirtschaftet und hat circa 199.000 Angestellte, die im letzten Jahr 4,84 Mio. Autos hergestellt haben. Dafür bewertet esdie Börse aktuell mit etwas mehr als 21 Mrd. Euro, weniger als ein Zehntel des Börsenwerts von Royal Dutch Shell.
Komplett anders sieht es beim chinesischen Technologiekonzern Tencent aus. Das Unternehmen hat 2018 umgerechnet circa 41 Mrd. Euro umgesetzt, hatte Ende des letzten Jahres 54.309 Angestellte, die unter anderem an Chinas beliebtester Messaging-App WeChat und den meist gespielten Handyspielen gearbeitet haben. Die Börse bewertet das Unternehmen mit circa 414 Mrd. Euro.
Der Börse ist es ziemlich egal, wie viel Umsatz ein Unternehmen macht und wie viele Leute es anstellt, auch wenn das die wichtigeren Kennzahlen sind, um zu betrachten, welchen Beitrag ein Unternehmen zur aktuellen gesamtwirtschaftlichen Aktivität leistet. Die Börse interessiert sich nur dafür, welche Gewinne langfristig für die Anteilseigner erwirtschaftet werden und was ein Unternehmen mit den Gewinnen macht.
Aus diesen Gründen haben Unternehmen mit hohem Margenpotenzial, bei denen voraussichtlich langfristig viel Gewinn vom Umsatz übrig bleiben wird, einen im Vergleich zu ihrem Beitrag zur wirtschaftlichen Aktivität sehr hohen Börsenwert. Diese Verzerrung sorgt dafür, dass der Börsenwert eines Unternehmens keine gute Zahl ist, um die wirtschaftliche Bedeutung eines Unternehmens zu messen. Nicht die ganze Welt dreht sich um die Börse.
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Offenlegung: Marlon Bonazzi besitzt keine der erwähnten Aktien. The Motley Fool besitzt und empfiehlt Aktien von Tencent Holdings.
Motley Fool Deutschland 2019