Von Geoffrey Smith
Investing.com -- Vielleicht sind die Europäer einfach nicht optimistisch genug. Zwar ist ihr Kontinent den USA weit voraus, wenn es darum geht, die Covid-10-Pandemie unter Kontrolle zu bringen, und es sieht so aus, als ob er die Konsumenteneinkommen durch die Krise hindurch besser stützen kann, aber man würde es anhand der Börsenentwicklung nicht vermuten.
Nach einer weiteren glanzlosen Woche mit einem Anstieg von nur 0,9% trotz eines stetigen Nachrichtenflusses über die Wiedereröffnung der Wirtschaft steht der STOXX 600 für das Jahr immer noch um gut 18% im Minus. In den USA weisen S&P 500 und Dow Jones nur noch ein Minus von 10% bzw. 16% auf. Der NASDAQ Composite hat sogar seine gesamten Jahresverluste wettgemacht.
Die Zusammensetzung der jeweiligen Indizes erklärt vieles: Der Stoxx 600 wird von traditionellen Zyklikern und Finanztiteln dominiert, von denen viele gerade vor existenziellen Herausforderungen stehen.
Die europäischen Märkte erhielten nicht die Unterstützung schwergewichtiger Technologieunternehmen, die wirklich in der Lage sind, die unmittelbarste Auswirkung der Pandemie zu nutzen: den beschleunigten Wechsel zu einer digitalen Wirtschaft. Es gibt kein europäisches Unternehmen, das es Online-Giganten wie Amazon (NASDAQ:AMZN), Microsoft (NASDAQ:MSFT) und Alphabet (NASDAQ:GOOGL) im Bereich Cloud Storage aufnehmen könnte; für Netflix (NASDAQ: {NFLX) kommen höchstens ITV (LON:ITV), Prosieben oder Vivendi (OTC:VIVHY) in Frage.
Selbst die größten reinen Online-Händler wie Zalando (DE:ZALG), Adyen (AS:{ADYEN) oder Just Eat Takeaway (AS:TKWY) sind nicht groß genug, um den Gesamtmarkt zu bewegen. Diejenigen, die es sind, wie z.B. SAP (DE:SAPG), sind durch Einzelprobleme beeinträchtigt worden. Der deutsche Software-Riese hat seine Co-Geschäftsführerin Jennifer Morgan nur wenige Monate nach ihrer Ernennung abserviert. Ocado (LON:OCDO), das in Großbritannien ansässige Online-Lebensmittelgeschäft, das sich in einen Infrastrukturanbieter für die Online-Kanäle für Supermärkte verwandelte, ist eine lobenswerte Ausnahme.
Um andere europäische Unternehmen zu finden, die sich wirklich in einem von Covid geschaffenen Sweet Spot befinden, muss man sehr genau hinschauen. Europas Antwort auf Zoom Video (NASDAQ:ZM) ist zum Beispiel TeamViewer (DE:TMV), ein Anbieter, der technischen Fernsupport anbietet. TeamViewer, das im vergangenen Jahr zum Preis von 26,50 Euro an die Börse ging, ist seitdem um 65% gestiegen, was auch mehr oder weniger dem entspricht, was es seit dem Höhepunkt des Corona-Tiefs gewonnen hat. Die Ergebnisse des ersten Quartals werden nächste Woche bekannt gegeben.
Der Zahlungsdienstleister Adyen, der 2018 an die Börse ging, hat sich seit seinem Börsengang mehr als verdoppelt. In den letzten Tagen hat es immer neue Rekordhochs erreicht, da sowohl das Unternehmen als auch seine Branchenkollegen PayPal (NASDAQ:PYPL) und Square (NYSE:SQ) von bevorstehenden Boomzeiten sprachen. Doch Adyen ist eine absolute Ausnahmeerscheinung in Europa, was bedeutet, dass die Anleger einen heftigen Aufschlag zahlen müssen, um die Aktie zu kaufen: Die Aktie wird jetzt mit einem 13-fachen des 12-monatigen Umsatzes gehandelt.
Das ist eine Bewertung, die die Verzweiflung bei der Suche nach einem Geschäftsmodell nahelegt, das eine wirklich tragfähige Zukunft bietet. Angesichts der Gewissheit einer beispiellosen Rezession im Euroraum und der mangelnden Sicherheit über die Form einer anschließenden Konjunkturerholung wird sich diese Ausweglosigkeit wahrscheinlich noch eine Zeit lang in den Preisen widerspiegeln.