In den USA wurden letzte Woche die Alarmglocken angeworfen: Die Inflation lässt sich nur durch ein entschiedenes Vorgehen einfangen. Seit einem halben Jahr wird die US-Geldpolitik beinahe im Monatsrhythmus weiter verschärft, dennoch werden Monat für Monat weiter anspringende Inflationsraten verzeichnet.
In Europa schläft die Notenbank. Dabei ist die Entwicklung hier nicht viel besser. Trotzdem spricht die EZB noch immer von einem symmetrischen Inflationsziel um 2% und erachtet erste Schritte vor Jahresende als nicht notwendig.
Während Anleger in den USA also Angst davor haben, die Notenbank könne die Wirtschaft in eine Rezession stürzen, fürchten Anleger in Europa, die Notenbank könne die Inflation verschlafen.
Da Deutschlands Aktienmarkt in der Regel im Kielwasser der USA schwimmt, inklusive aller Reibungsverluste, gehe ich davon aus, dass wir die Entwicklung, die wir derzeit in den USA sehen, auch hier in Europa erleben werden. In den USA war diese Woche der Unterschied zwischen Wachstums- und defensiven Aktien klar zu sehen. In Deutschland ebenfalls, obwohl wir nach wie vor eine ultralockere Geldpolitik haben.
Damit haben wir in Europa die Zutaten für eine Stagflation: Die Inflation bekämpfen wir gar nicht erst, allerdings könnte uns eine ordentliche Konjunkturschwäche ereilen. Nicht nur aufgrund der Energieversorgungsprobleme, sondern auch dann, wenn die USA hausgemachte Konjunkturprobleme bekommen.
Es gibt allerdings auch Hoffnung :-). Ursächlich für die Inflation sind in erster Linie die angesprungenen Rohstoffpreise. Die Preissprünge vom Februar und März haben sich im April bislang nicht fortgesetzt (Getreide, Soja) und vereinzelt sind schon wieder rückläufige Preise zu sehen (Öl, Kupfer).
Nun kommt es darauf an, ein Überspringen der angestiegenen Rohstoffpreise auf weitere Bereiche frühzeitig zu verhindern. Viele Produzenten geben inzwischen die höheren Einkaufspreise an ihre Kunden weiter. Bei den Lohnverhandlungen spielen auf die Erwartungen eine wichtige Rolle. In den USA wurde ein klares Signal gesetzt, dass solche Entwicklungen nicht erwünscht sind. Die Notenbank werde alles tun, um die Inflation einzudämmen, selbst wenn negative Begleitentwicklungen für Arbeitsmarkt und Konjunktur dabei abfallen. Diese Konsequenz wird bei Produzenten den Druck zu Preiserhöhungen mildern, Lohnsteigerungen werden sich schwerer durchsetzen lassen.
Um ehrlich zu sein: Ich finde das ganz gut, wie das in den USA derzeit läuft.
Für die weitere Entwicklung in Europa und insbesondere in Deutschland fehlt mir derzeit die Phantasie, aber ich lasse mich gerne überraschen.
Weiterentwicklung des Heibel-Ticker Portfolios
Sie haben es in den vergangenen Wochen bereits bemerkt, ich bin dabei, unser Portfolio auf solide Füße zu stellen. Dabei möchte ich eine möglichst gute Diversifizierung nach Branchen, nach Regionen und nach Unternehmensreife realisieren.
Bei den Branchenauswahl habe ich die 160 Titel der verschiedenen DAX-Familien in 12 Branchen gepresst (https://www.heibel-unplugged.de/dax-160-branchenmatrix-inkl-dax-40-mdax-und-sdax/). Wenn wir nun auf eine Zeit der schwächeren Konjunktur zulaufen, sind konjunktursensible Titel nicht gefragt: Logistik, Industrie und Autos haben in unserem Portfolio derzeit also nichts zu suchen.
Dann gibt es wiederum einzelne Branchen, die mit einer Sonderkonjunktur gesegnet sind: Die Chipindustrie (DE:VVSM) sehe ich in einer solchen Situation. Nicht nur die weltweite Chipknappheit hat Unternehmen gezwungen, ihre Lieferanten breiter aufzustellen. Sondern auch die geopolitischen Spannungen führen derzeit dazu, dass strategisch wichtige Produkte im Inland produziert werden sollen. Dazu gehören auch Chips.
Bei der geographischen Diversifizierung schaue ich mir auch an, wie international ein lokales Unternehmen aufgestellt ist. Da ich in Folge des Ukraine-Krieges eine teilweise Rückentwicklung der Globalisierung fürchte, würde ich derzeit Unternehmen mit lokalem Geschäft ein besonderes Gewicht geben. Ich habe daher in unserer tabellarischen Portfolio Übersicht eine Spalte “le” für “local economy” eingeführt. Positionen mit einem + sind lokal ausgerichtet, international abhängige Geschäftsmodelle haben ein – bekommen.
Die Unternehmensreife berücksichtige ich durch die Untergliederung zwischen Dividendentitel, die meist bei reiferen Unternehmen zu finden sind, und Wachstumstiteln, die eher junge Unternehmen enthalten.
Die Spalte C19 für Covid_19 haben wir bereits seit 2 Jahren. Dort habe ich jede Position daraufhin eingeschätzt, ob die Pandemie dem Geschäfts nutzt (+) oder schadet (-).
Neben “le” ist auch die Spalte “%” neu. Dort untersuche ich die Unternehmen hinsichtlich ihrer Fähigkeit, auf die Inflation zu reagieren. Wer Preissteigerungen problemlos an seine Kunden durchreichen kann, bekommt ein +. Unternehmen, die jedoch auf gestiegenen Rohstoffkosten sitzenbleiben, erhalten ein -. Hier wird also die Frühphase einer höheren Inflation bewertet.
Später können wir diese Spalte dann neu definieren und die Aktionen der Notenbanken einbeziehen. Es ist ein Unterschied, ob die Inflation hoch ist, oder ob der Realzins hoch ist. Die Übersichtstabelle wird dadurch ziemlich komplex. Ich habe Sie in einem Video für meine Heibel-Ticker PLUS Leser am Montag detailliert beschrieben und werde die nächsten Wochen immer wieder darauf eingehen und sie weiterentwickeln.
Investoren Sentiment: Vorsicht von Unterströmungen und Strudeln
Es war ein heftiger Tiefschlag, dass die beiden Tauben unter den US-Notenbankern plötzlich eine harte Linie vertreten. Zwischen den Zeilen der Ausführungen von Label Brainard und Mary Daly haben Anleger gelesen, dass die Inflationsbekämpfung oberste Priorität hat, dafür nimmt man selbst eine Rezession in Kauf. Kein Wunder, dass hoch bewertete Aktien ausverkauft wurden, Value-Aktien konnten sich gut halten.
Nun haben wir als Anleger über mehrere Jahrzehnte gelernt, dass Wachstum letztlich lukrativer ist als Value. Dividenden spielten in den vergangenen Jahrzehnten nur eine Nebenrolle, die Giganten unserer Zeit heißen Apple (NASDAQ:AAPL), Amazon (NASDAQ:AMZN), Alphabet (NASDAQ:GOOGL) und Microsoft (NASDAQ:MSFT). Doch diese Aktien möchte nun niemand mehr haben.
Je größer der Verlust in der letzten Woche, desto höher die Marktbewertung. Microsoft und Apple notieren beispielsweise auf einem KGV 2023e von 30, Alphabet von 25. Für Amazon wird sogar ein KGV von 60 aufgerufen.
Auf der anderen Seite profitierten defensive Titel aus der Gesundheitsbranche, dem Einzelhandel und der Versorger (NYSE:XLU).
Schauen Sie mal in Ihr eigenes Portfolio: Defensive Titel dürften in der Minderheit sein. Wachstumstitel haben seit Jahren die Titelseiten dominiert. Daher fühlte sich der Ausverkauf in der abgelaufenen Woche so schmerzhaft an, obwohl viele andere Titel, die teilweise sogar in Vergessenheit geraten sind, stark zulegten.
So hatten wir auch in unserem Anlegersentiment letzte Woche ein gemischtes Bild, wobei die Aktionäre der Wachstumsunternehmen die Stimmung dominieren, sie sind niedergeschlagen.
Gleichzeitig hoffen sie nach dem Ausverkauf darauf, dass – wie in den vergangenen Jahrzehnten immer – ihre Lieblinge die erlittenen Verluste mindestens ausgleichen.
Nach den Reden von Brainard und Daly bin ich mir da jedoch nicht mehr so sicher. Das Enttäuschungspotential steckt also auch nach dem Ausverkauf noch immer bei den Wachstumsaktien, während Kursanstiege der defensiven Titel weitgehend unbeachtet bleiben.
Die hohe Verunsicherung bei gleichzeitig wachsendem Optimismus spiegelt diesen Gezeitenwechsel am besten wider. Wellen, Strudel und Unterströmungen können gefährlich werden. Ich würde für die kommenden Wochen nur sehr vorsichtig anlegen und vorzugsweise auf defensive Aktien setzen. Welche Titel das sind, können Sie unserem Heibel-Ticker Portfolio und unserer Einkaufsliste entnehmen.
Die neue Stimmungsanalyse unter den Anlegern sowie neue Empfehlungen für unser Musterdepot gibt es wie gewohnt diesen Freitag per Mail und PDF.