Die AI-Story erlebt sagenhafte Zuwächse aufseiten der Unternehmensbewertungen. Doch lassen sich diese halten, wenn China den AI-Markt mit kostenlosen Modellen überschwemmt? Es wäre nicht das erste Mal, dass China seine Konkurrenz unterbietet und damit ausschaltet.
Peking hat eine ganz offizielle AI-Agenda. Anders als im Westen, wo sich die Branche informell entwickelt hat, hat die Regierung zentralistisch im Fünfjahresplan von 2016 vorgegeben, dass China bis zum Jahr 2030 weltweit führend beim Thema AI werden soll. Solche sozialistischen Ankündigungen kennen wir natürlich zu Genüge. Auch in Europa haben sich solche staatlichen Vorgaben in der vergangenen Dekade wieder verstärkt durchgesetzt. Eingehalten werden solche politischen Calls for Action jedoch selten. Entsprechend widmete die Welt auch der Vorgabe Pekings, das man bis 2030 führend auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz wird, nicht allzu viel Aufmerksamkeit.
Was sich schlagartig mit den AI-Modellen von DeepSeek änderte. Dass die Konkurrenz aus China plötzlich auf Augenhöhe mit den bisher führenden Amerikanern agiert, sorgt durchaus für Unsicherheit. Weniger in Europa, aber sehr wohl in den USA. Vor allem, da die US-Regierung sich seit der ersten Trump-Administration alle Mühe gegeben hat, um die Chinesen technologisch zu isolieren, um den Erzrivalen so lange wie möglich auf Abstand zu halten.
Mit DeepSeek hat Peking einen Fuß in der Tür
Das DeepSeek so weit gekommen ist, trotz der beschränkten Hardwareressourcen, signalisiert, dass die Isolierung des Landes letztlich nur dazu geführt hat, dass man sich noch mehr angespornt fühlt. Und dabei den Sprung vom reinen Kopierer hin zum Innovator vollzog. Denn DeepSeek ist keine Anomalie, sondern eingebettet in eine stark wachsende chinesische AI-Branche.
Alle großen chinesischen Technologiekonzerne bieten inzwischen ihre eigenen AI-Modelle an. Durchaus mit sehr großen Qualitätsunterschieden. Der Wettbewerb innerhalb Chinas ist knochenhart und man schenkt sich nichts. Die DeepSeek Modelle haben innerhalb kürzester Zeit einen Preiskrieg ausgelöst, der den Kampf um die besten Angebote noch verstärkte und intensiviert.
Peking fördert seine AI-Unternehmen gezielt. Ganz oben auf der Liste der VIPs stehen bekannte Namen wie Alibaba (NYSE:BABA), Baidu (NASDAQ:BIDU) und Tencent (HK:0700), aber auch SenseTime (HK:0020) und iFlytek (SZ:002230). Neuerdings auch High-Flyer, die Mutter von DeepSeek. Auf dem Wirtschaftsgipfel vom Montag dieser Woche hatte Chinas Präsident Xi Jinping nicht nur Jack Ma von Alibaba eingeladen und damit eine alte Wunde vom Herbst 2020 geschlossen, sondern auch Liang Wenfeng, den Gründer von DeepSeek.
Die Bestrebungen Pekings sind nichts Ungewöhnliches. Auch die europäischen Staaten verfolgen solche nationalen Strategien, sind aber im Vergleich zu den USA und China dabei nicht erfolgreich. Die Strategie Pekings geht jedoch weit über eine reine Förderung der AI-Branche hinaus, um die Wettbewerbsfähigkeit der chinesischen Wirtschaft zu steigern.
Dumping ist eine der erfolgreichsten Strategien der Chinesen
Was China plant, ist das, was sie am besten können: die Welt mit ihren Produkten und Dienstleistungen zu überfluten und das zu Preisen, bei denen keiner mithalten kann. Dumping heißt das Stichwort. Was man sehr erfolgreich in Bereichen der Elektrogeräte, Computer, Stahl, Schiffe, Solarpaneele, EVs usw. bereits durchgeführt hat, wird man in Zukunft auch im Bereich AI durchführen.
Im Kern ist AI ein Commodity. Dem Benutzer ist es letztlich egal, ob die Rechenleistung in China oder den USA ausgeführt wird. Entscheidend ist in erster Linie, ob das Ergebnis und der Preis stimmen. Hier kommt also eine gewisse Gleichgültigkeit in die Entscheidung der Benutzer herein. Ähnlich wie an der Zapfsäule. Niemand interessiert sich dafür, ob der Treibstoff aus Rohöl aus der Nordsee oder Saudi Arabien raffiniert wurde. Entscheidend sind die Leistungsfähigkeit des Treibstoffs und der Preis.
Natürlich gibt es gewisse Einschränkungen. Europäische Unternehmen werden sicherlich nicht ihre Datenbanken und internen Informationen gegenüber chinesischen AIs offenbaren wollen. Aber das sollten sie auch nicht gegenüber amerikanischen AIs. Für einen klassischen privaten Nutzer und kleinere Teams rückt die Herkunft der AIs jedoch in den Hintergrund. Wir haben das zuletzt sehr eindrücklich bei der TikTok Plattform gesehen. Die europäischen Behörden schreiben Datenschutz zwar exorbitant groß, aber die eigentlichen Schützlinge interessieren sich in der überwiegenden Mehrheit nicht im Geringsten dafür, was mit ihren Daten passiert. Das ist gelebte Realität, weswegen der Akzeptanz von chinesischen AIs grundsätzlich nichts im Weg steht.
Wettbewerb ist bekanntermaßen gesund. Eine Dumping-Offensive ist es jedoch nicht. Da sich chinesische AI-Unternehmen mit einem Schlüsselprodukt im Zweifel staatlicher Unterstützung sicher sein können, ist das Spielfeld nicht fair aufgeteilt. Entschließen sich die Chinesen beispielsweise AI der neuesten Generation kostenlos anzubieten, dann bekommen die Konkurrenten in den USA ein Problem. Und zwar insbesondere ein Bewertungsproblem.
Die Bewertungen der amerikanischen Konkurrenten geraten unter Druck
AI ist ein kapitalintensives Geschäft. Es verlangt zudem erhebliche Anlaufkosten. Ein neues Modell mit höherer Leistungsfähigkeit zu entwickeln, liegt aktuell im Bereich von 500 Mio. US-Dollar bis 1 Mrd. US-Dollar. Ist es erfolgreich, kommen letztlich auch die entsprechenden Umsätze herein, aber immer mit einem deutlichen Zeitversatz von 12 bis 18 Monaten. Je nachdem wie gut das Modell und die Vermarktung sind. Die Unternehmen am freien Markt gehen also erhebliche finanzielle Risiken ein.
Das macht sie verwundbar gegenüber einer potenziellen Dumping-Strategie der Chinesen. Investiert man beispielsweise 750 Mio. US-Dollar in ein neues Modell, beginnt die Vermarktung und stellt dann fest, dass es ein gleichwertiges chinesisches Konkurrenzprodukt auf dem Markt gibt, das umsonst zu benutzen ist, dann bricht dem freien Wettbewerb der Boden weg, da die Finanzierungen ausbleiben werden.
Machen die Chinesen ernst?
Werden die Chinesen diesen Weg gehen? Das ist selbstverständlich reine Spekulation, aber es spricht sehr viel dafür. Zum einen ist AI der größte technische Quantensprung, den wir in den letzten 30 Jahren bekommen haben. Im Hinblick auf seine wirtschaftliche Bedeutung wird AI weit größere Auswirkungen als das Internet haben. Können die Chinesen ihre amerikanischen Konkurrenten hier zurückschlagen und ihnen wirtschaftlichen Schaden zufügen, würde das die Rolle Chinas im Technologiesektor auf Jahre hin zementieren.
Zum anderen kommt hier die Psychologie ins Spiel. Die Amerikaner – und auch die Europäer – haben die Chinesen jahrelang gegängelt und wirtschaftlich attackiert. Das hat Narben hinterlassen und den Wunsch nach Vergeltung geweckt. Bietet sich hier eine Gelegenheit, dem wirtschaftlichen Erzrivalen zu schaden und gleichzeitig dadurch seine eigene Rolle im globalen Kontext zu stärken, werden die Chinesen diese Gelegenheit sicherlich nicht ungenutzt verstreichen lassen.
2025 wird ein Pivot-Jahr für AI
Wer in Zukunft die Nase vorne haben wird, wird sich 2025 entscheiden. Die Chinesen haben jetzt mit DeepSeek einen Fuß in der Tür und können die amerikanischen Konkurrenten da treffen, wo es ihnen besonders wehtut: an ihrem Geldbeutel. Denn die Bewertungen für amerikanische AI-Unternehmen, die inzwischen beginnen, in den dreistelligen Milliardenbereich zu wandern, lassen sich kaum rechtfertigen, wenn die Chinesen gleichwertige Konkurrenzprodukte kostenlos anbieten.
Die Börse hat diese Entwicklung auch längst spitzbekommen und investiert nun stark in den chinesischen Technologiemarkt. Angefangen bei den großen und bekannten Technologiekonzern bis hin zu den „jungen AI-Tigern“ wie Baichuan, MiniMax, Moonshot AI oder Zhipu. Die jüngsten Kursavancen bei börsennotierten Klassikern wie Alibaba, Baidu und Tencent sind bemerkenswert, aber auch in ihrer starken Unterbewertung im Vergleich zu den Amerikanern begründet. Es lohnt sich daher den chinesischen Markt einmal unter die Lupe zu nehmen.
Ein Artikel von
Mikey Fritz
Chefredakteur Zürcher Finanzbrief