Anleger mussten am Montag widersprüchliche Signale zur Geldpolitik in den USA verarbeiten. Der Präsident der Fed von Atlanta, Raphael Bostic, sagte auf einer Veranstaltung der National Association for Business Economics (NABE), dass er im laufenden Jahr mit sechs Zinserhöhungen der US-Notenbank rechnet. Für 2023 erwarte er zwei Schritte. Das wären weniger Anhebungen als beim jüngsten Zinsentscheid signalisiert (siehe Börse-Intern vom Donnerstag vergangener Woche). Er begründete seine Erwartung mit dem erhöhten Maß an Unsicherheit. Einerseits werde der Krieg in der Ukraine die Preise weiter nach oben drücken, was den Inflationsdruck wohl noch verschärft, andererseits werde die durch den Konflikt gespeiste Unsicherheit wahrscheinlich die Wirtschaftstätigkeit verringern. Dieses habe sein Vertrauen, „dass ein extrem aggressiver Zinspfad heute angemessen ist, etwas gemäßigt“, so Bostic.
Powell wirkt deutlich aggressiver
Aus Sicht von Fed-Chef Jerome Powell hingegen muss die US-Notenbank im Kampf gegen die hochschießende Inflation zügig gegensteuern. Bei Bedarf könnte sie sogar zu aggressiveren Zinserhöhungen als üblich greifen, sagte Powell vorgestern in seiner Rede für die NABE-Veranstaltung. „Der Arbeitsmarkt ist sehr stark und die Inflation ist viel zu hoch“, so Powell. „Es besteht die offensichtliche Notwendigkeit, zügig zu handeln, um die geldpolitische Ausrichtung auf ein neutraleres Niveau zurückzuführen.“ Wenn es zur Wiederherstellung stabiler Preise erforderlich sein sollte, müsse zu restriktiveren Niveaus übergegangen werden. Und: „Wenn wir zu dem Schluss kommen, dass es angemessen ist, aggressiver vorzugehen, indem wir den Leitzins bei einer oder mehreren Sitzungen um mehr als 25 Basispunkte anheben, werden wir dies tun.“ Aus Powells Sicht könnte die Notenbank zudem im Mai mit der Kürzung ihrer Bilanz beginnen.
Kein Problem für die Aktienmärkte
Mit diesen Äußerungen zeigte sich Powell deutlich „aggressiver“ hinsichtlich einer strafferen Geldpolitik als sein Kollege Bostic und im Vergleich zur Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid vom Mittwoch vergangener Woche. Doch für die Aktienmärkte war dies kein Problem, obwohl die Renditen an den Anleihemärkten kräftig gestiegen sind. Die Marktstimmung blieb freundlich und man kann die Kurserholungen weiterhin genießen. Auch der Verfallstag brachte offenbar keine Wende (siehe Börse-Intern vom vergangenen Freitag).
Ukraine-Krieg: Kursverluste vollständig aufgeholt
In der Börse-Intern vom Mittwoch vergangener Woche hatte ich geschrieben, dass negative Nachrichten eingepreist scheinen und man daher eher mit plötzlichen Kurssprüngen rechnen solle. Inzwischen scheint es mit allerdings eher so, dass negative Nachrichten nun wieder ignoriert werden. Der Markt scheint sich aktuell schon wieder in einer Art Kaufrausch zu befinden.
Wie sonst ließe es sich erklären, dass die Aktienindizes (DAX, Dow Jones, S&P 500 usw.) mehr als 50 % ihrer gesamten Kursverluste aufgeholt haben? Und sie haben damit teilweise wieder die Niveaus erreicht, auf denen sie vor dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine standen. Dabei ist ein Ende des Krieges noch nicht absehbar.
Das Ausmaß der Kurserholungen erscheint daher wenig plausibel. Sehen Sie es mir nach, wenn ich vor diesem Hintergrund wieder skeptisch werde, nachdem ich mich am 11. März bei unseren heimischen Aktien aus DAX & Co. erstmals nach längerer Zeit wieder eher zu den Bullen gezählt hatte. Zumal der Titel der damaligen Börse-Intern-Ausgabe „Der Markt bleibt in jedem Fall belastet“ lautete. Kursverlauf und fundamentale Entwicklung passen damit schon wieder nicht zusammen.
US-Indizes senden starke bullishe Signale
Werfen wir dazu beispielhaft einen Blick auf den S&P 500:
Der Index hat in diesem Jahr relativ scharf korrigiert. Mehr als 14 % gingen vom Hoch aus gesehen verloren. Die Abwärtsbewegung kann man als klassische ABC-Korrektur werten. Durch die aktuelle Kurserholung wurde der (rote) Abwärtstrend(kanal) dynamisch durchbrochen. Und von der Welle C wurden mehr als 61,80 % aufgeholt, womit diese aus Sicht der Fibonacci-Marken (graue Linien) als beendet gilt. Das sind klar bullishe Signale, die auf ein Ende der Korrektur deuten.
Zumal, wie oben bereits geschrieben, auch mehr als 50 % der gesamten Kursverluste aufgeholt wurden:
Das ist schon mehr als nur eine normale Gegenbewegung. Es ist ein klares Zeichen der Bullen, dass sich diese noch nicht geschlagen geben. Sie haben es stattdessen geschafft, dass der S&P 500 nun schon nur noch -6,6 % unter seinem Rekordhoch steht.
Bärenmarktrally?
Das finde ich allerdings äußerst überraschend und bedenklich, wenn man sich vor Augen führt, wie hoch US-Aktien zum Jahreswechsel bewertet und wie sehr die Kurse überkauft waren. Zur Erinnerung:
Vom Tief des Corona-Crashs war der S&P 500 um rund 120 % gestiegen (grün im folgenden Chart). Eine Korrektur um weniger als 15 % erscheint daher relativ wenig. Zumal der Index im Korrekturtief immer noch um 21,25 % über dem Hoch stand, das vor dem Corona-Crash markiert wurde (blau).
Ich hatte einen solchen Vergleich am 11. März bereits zum Dow Jones angestellt. „Eine weitergehende Korrektur um 10 % sollte daher nicht überraschen“, hieß es dazu. Und ich könnte mir vorstellen, dass es im S&P 500 durch solch eine weitere Abwärtsbewegung noch zu einer großen ABC-Korrektur kommt:
Fällt die Welle C dabei genauso lang aus wie die Welle A (rote Rechtecke), würde der S&P 500 ziemlich genau 38,20 % der Aufwärtsbewegung seit dem Corona-Crash korrigieren. Das ist ein sehr plausibles Szenario.
Kurzfristiges Szenario passt zur langfristigen Analyse
In diesem Zusammenhang möchte ich an meine langfristige Analyse vom 01.12.2021 erinnern (siehe „S&P 500: Am Ende einer massiven Übertreibung?“):
Vergleicht man den damaligen Chart (oben) mit dem aktuellen Kursverlauf (unten), dann war die Analyse ein absoluter Volltreffer.
Und auch vor dem Hintergrund dieser Elliott-Wellen-Analyse wäre nun mit einer größeren (ABC-)Korrektur zu rechnen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus