Es gestaltet sich immer schwieriger, die historisch niedrigen Renditen der US-Treasuries mit den rekordhohen Aktienkursen in den wichtigsten Aktienindizes zu rechtfertigen. Eine Flucht in US-Treasuries infolge der COVID-19-Unsicherheit und ein boomender Aktienmarkt scheinen im Widerspruch zueinander zu stehen.
Der S&P 500 stellte seinen dritten Rekord in fünf Sitzungen auf und beendete den Montag auf 3.431,28, als die US-Arzneimittelaufsicht Food and Drug Administration die Verwendung von Rekonvaleszenzplasma zur Behandlung von Covid-19 genehmigte.
Der NASDAQ stellte am Montag ebenfalls einen neuen Rekord auf und schloss den Handel zu 11.379,72 ab.
Die richtungsweisende 10-jährige US-Staatsanleihe weist unterdessen eine Rendite von etwa 0,65% auf, was einem Rückgang von fast einem vollen Prozentpunkt gegenüber dem Februar-Niveau entspricht.
Infolgedessen denken immer mehr Marktteilnehmer, dass die beiden Trends zusammenhängen und dass Aktien gerade deshalb neue Höchststände erreichen, weil die Renditen von Staatsanleihen so niedrig sind.
Die Rolle der Federal Reserve bei der Entwicklung dieses Rätsels ist von zentraler Bedeutung. Die Verpflichtung der Fed, die kurzfristigen Zinssätze auf unbestimmte Zeit nahe Null zu halten, und ihre anhaltenden Käufe von Vermögenswerten führen zusammengenommen dazu, dass die Renditen der Staatsanleihen gedämpft bleiben.
Anleihen- und Aktienmärkte steigen gemeinsam
Das Eingreifen der Fed konterkariert den historischen Trend, dass Anleger aus Anleihen aussteigen - was die Renditen in die Höhe treibt, weil diese sich invers zu sinkenden Kursen bewegen - und in die Aktienmärkte strömen. Stattdessen steigen die Kurse jetzt an beiden Märkten, da die Fed mit ihren Maßnahmen auch die Anleihekurse unterstützt.
Kurz gesagt, Anleger sollten den Rückgang der Renditen für Staatsanleihen nicht als Zeichen dafür ansehen, dass die Aktien auf eine Korrektur zusteuern, wie Mark Haefele, Investitionsvorstand von UBS (SIX:UBSG) Global Wealth Management, in der vergangenen Woche ausführlich berichtete.
Eine wichtige Kennzahl dabei ist der Risikoaufschlag für Aktien, die die Differenz zwischen dem risikofreien Zinssatz für Staatsanleihen und der Aktienrendite misst. Dieses Kenngröße ist in den letzten sechs Monaten um fast einen ganzen Prozentpunkt auf 6,3% gestiegen, so eine Berechnung, was ein weiterer bullischer Indikator für Aktien wäre.
Selbst wenn die nominalen Renditen gesunken sind, zeigt die Renditedifferenz zwischen den inflationsgeschützten Wertpapieren des US-Finanzministeriums (Treasury inflation-protected securities, TIPS) und den nominalen US-Staatsanleihen, dass die Inflationserwartungen gestiegen sind.
Der Rückgang der Rendite von 10-Jahres-TIPS auf minus 1,00% von minus 0,2% im März hat die Erwartungen an die Inflation auf nahezu 1,7% wie vor der Pandemie zurückgeführt. Dies ist gut für Aktien, da die Anleger erwarten, dass die Dividenden mit der Inflation steigen, während die Anleihekurse fallen werden.
Diese durch die Fed verursachte Umkehrung traditioneller Markttrends könnte einige Zeit anhalten, solange die Fed ihre Niedrigzinspolitik beibehält.
Haefele empfiehlt Anlegern, die diesen Standpunkt teilen, genau zu beachten, was die Fed sagt, und bereit zu sein, ihre Einschätzung der Preise von Wertanlagen entsprechend zu ändern.
Die dominierende Rolle der Fed bei der Steuerung der Märkte auf diese Weise hat das Interesse an den geplanten Bemerkungen von Bankchef Jerome Powell in dieser Woche zur Überprüfung der Strategie der Zentralbank stark erhöht.
Im Rahmen des virtuellen Jackson Hole-Symposiums wird Powell voraussichtlich eine Änderung der Fed-Strategie andeuten, um das Inflationsziel von 2% überschießen zu können. Dieses Versprechen würde für einige Zeit ultrabilliges Geld garantieren, da die Fed versucht, die Wirtschaft anzukurbeln.