Auch gestern hat der Ausverkauf am Anleihemarkt angehalten. Und er hat dort wieder zu neuen Korrekturtiefs bzw. Zinshochs geführt. Die Rendite der 10-jährigen Bundestitel kletterte auf bis zu 2,528 %, nachdem es vorgestern im Hoch 2,4545 % waren. Ihre Pendants aus den USA rentierten mit 4,333 % so hoch wie zuletzt vor mehr als 14 Jahren, nach 4,10 % vorgestern. Das hat gestern auch wieder die Aktienmärkte belastet.
Spread-Ausweitung stärkt erneut den Dollar
Und da sich die Renditedifferenz zwischen deutschen und US-amerikanischen Staatsanleihen dabei zugunsten des Dollars ausgeweitet hat, von 1,6455 Prozentpunkte vorgestern auf gestern mehr als 1,8 Prozentpunkte, zeigte die US-Währung wieder Stärke gegenüber dem Euro.
EUR/USD: Abwärtstrendkanal weiterhin kursbestimmend
In der vorangegangenen EUR/USD-Analyse vom 31. August hatte ich geschrieben, dass sich der Wechselkurs zwar mit Unterstützung des psychologisch wichtigen Niveaus der Parität stabilisieren konnte (blaue Linie im folgenden Chart), doch dies nicht mehr als eine Konsolidierung im Abwärtstrend sei. Wenig später startete der Euro einen Ausbruchsversuch aus dem Abwärtstrendkanal, was zunächst gegen meine These sprach. Doch dieser Versuch scheiterte (siehe roter Pfeil im folgenden Chart), der Kurs brach auf neue Korrekturtiefs ein und setzte damit den Abwärtstrend wie befürchtet fort.
Dabei erreichte der EUR/USD auch das untere Ende des Abwärtstrendkanals und fand dort Unterstützung für eine Kurserholung.
Damit wurde der Trendkanal erneut bestätigt. Das Hoch der Kurserholung lag anschließend exakt am oberen Ende des Trendkanals (und der Parität), womit der Trendkanal ein weiteres Mal bestätigt wurde.
Mit der anschließenden Kursentwicklung bildete sich eine kurzfristige Aufwärtstrendlinie (dick grün), die mit der oberen Linie des Abwärtstrendkanals als symmetrisches Dreieck betrachtet werden kann. Und dieses stellt wieder nur eine Konsolidierung im Abwärtstrend dar. Der Abwärtstrendkanal ist also weiterhin kursbestimmend und er kann den EUR/USD durchaus weiter nach unten drücken, inklusive weiterer Korrekturtiefs.
Konnte die US-Wirtschaft im dritten Quartal stark wachsen?
Die Stärke des Dollars lässt sich auch damit erklären, dass die US-Wirtschaft den rezessiven Pfad womöglich verlassen hat. Nach zwei Minusquartalen im ersten Halbjahr soll das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Vereinigten Staaten laut einigen Prognosen im Juli, August und September wieder gestiegen sein. Der Nowcasting-Schätzwert der Atlanta-Fed liegt bei +2,9 %, jener der New York Fed sogar bei +3,8 %.
Einerseits stärkt eine solide Wirtschaft die Währung, andererseits gibt eine solche Entwicklung der Notenbank Spielraum für (weitere) Leitzinsanhebungen. Und steigende Zinsen ziehen Investitionen an. Das erhöht die Nachfrage nach der Währung und lässt sie weiter zulegen.
Der Dollar überstrahlt diverse Währungen
Kein Wunder also, dass neben dem Euro auch andere Währungen gegenüber dem US-Dollar immer weiter ins Hintertreffen geraten. Der chinesische Yuan ist zum Beispiel kürzlich auf seinen tiefsten Stand zum Dollar seit der Finanzkrise 2008 abgerutscht.
Und gegenüber dem japanischen Yen ist der Dollar erstmals seit Anfang der 1990er Jahre auf über 150 JPY gestiegen. Bereits am 9. September hatte ich diesbezüglich vom nächsten fahnenstangenartigen Anstieg geschrieben. Damals sah der USD/JPY-Chart wie folgt aus:
Inzwischen hat sich an diesen Anstieg nach einer kurzen Seitwärtskonsolidierung noch eine weitere Fahnenstange angeschlossen.
Und das, obwohl die japanische Zentralbank (BoJ) am 22. September erstmals seit 1998 mit einer Intervention in den Devisenmarkt eingegriffen und versucht hat, den Kurs vom aktuellen Aufwärtstrend abzubringen (siehe rote Ellipse im Chart). In der oben genannten Analyse vom 9. September hatte ich auf diese Möglichkeit hingewiesen, da sich Regierung und Notenbank in Japan zunehmend besorgt über die Wechselkursentwicklung geäußert hatten. Finanzminister Suzuki (TYO:7269) sagte zum Beispiel, Tokio werde bei Bedarf „angemessene“ Maßnahmen ergreifen.
Allerdings ist die BoJ mit ihrer Maßnahme offensichtlich kläglich gescheitert. Denn die Zentralbank hat zugleich an ihrer extrem expansiven Geldpolitik festgehalten. Die (Leit-)Zinsen in Japan sind daher nach wie vor im Keller, während die US-Renditen durch die Decke gehen. Und das zieht natürlich Geld aus Japan in die USA, weshalb immer mehr Yen auf den Tisch gelegt werden müssen, um einen Dollar zu erhalten – inzwischen mehr als 151.
Die Dollarstärke hat nicht nur Vorteile
Für die US-Wirtschaft hat dies durchaus Vorteile. Denn mit einem starken Dollar kann man im Ausland günstig einkaufen, was die (importierte) Inflation dämpft. Allerdings gibt es auch Nachteile. Und diese können bei einer zu starken Wechselkursbewegung überwiegen.
Ohsung Kwon, Aktienstratege in der Investment-Abteilung der Bank of America (NYSE:BAC), schätzt, dass alleine die jüngste Dollar-Stärke die Gewinne der US-Unternehmen um 5 % bis 6 % geringer ausfallen lässt. Ein Vierteljahr zuvor gab es durch den stärkeren Dollar bereits einen Dämpfer, der damals allerdings noch bei „nur“ 2 % lag.
Eine Reihe von Unternehmen haben die Erwartungen bereits mit Verweis auf den starken Dollar gedrosselt, darunter der Technologiekonzern IBM (NYSE:IBM), der Chemieriese DuPont (NYSE:DD) de Nemours und der Konsumgüterhersteller Procter & Gamble (NYSE:PG). Auch Tesla (NASDAQ:TSLA) brockte der starke Dollar einen negativen Wechselkurseffekt ein – er wird auf 250 Millionen Dollar beziffert. Und der Sportartikelproduzent Nike (NYSE:NKE), der mehr als die Hälfte seines Umsatzes außerhalb Nordamerikas erwirtschaftet, gab vor einem Monat die Belastungen durch den starken Dollar mit sogar 4 Milliarden Dollar an – das ist rund doppelt so viel wie zuvor angenommen.
Wenn die Nachteile überwiegen
Es ist also sehr gut möglich, dass die Dollar-Stärke bald endet – und zwar spätestens dann, wenn die Nachteile die Vorteile überwiegen und die US-Wirtschaft beginnt, durch die Dollar-Stärke gegenüber anderen Volkswirtschaften zu verlieren. Denn dann dürften deren Währungen an Stärke gewinnen und der Dollar seinen Siegeszug beenden. Fraglich ist nur, wann dies der Fall sein wird.
EUR/USD: Warten auf das charttechnische Signal
Auf diese Frage wird die Charttechnik als allererstes eine Antwort geben. Und beim EUR/USD dürfte dieser Zeitpunkt gekommen sein, wenn der Abwärtstrendkanal nach oben gebrochen wird. Ich glaube, dass dies sehr bald schon der Fall sein wird. Denn der Trend ist charttechnisch betrachtet längst mehr als reif. Und bezüglich der fundamentalen Gründe erinnere ich an die Börse-Intern-Ausgabe vom 14. Juli (siehe „EUR/USD: Eine Abweichung wie seit Mitte der 80er nicht mehr“). Damals verwies ich auf eine Analyse der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), wonach der US-Dollar, gemessen an der Kaufkraftparität, lediglich beim (zurückgerechneten) Wechselkurs Mitte der 80er Jahre stärker überbewertet bzw. der Euro unterbewertet war. Auch damals war das eine Folge einer sehr restriktiven Fed-Politik.
In der EUR/USD-Analyse vom 19. August hatte ich geschrieben, dass ich nach ordentlichen Gewinnen aus zwei Long-Trades auf den EUR/USD Ausschau halte nach neuen Signalen für einen Long-Einstieg. Diese hat es bislang nicht gegeben. Aber wenn der Wechselkurs das symmetrische Dreieck (siehe oben) nicht idealtypisch zu einer Trendfortsetzungsformation macht, sondern stattdessen nach oben ausbricht und damit auch der Abwärtstrendkanal Geschichte wird, würde ich sehr wahrscheinlich einen neuen Long-Versuch wagen. Denn dann habe ich sowohl die fundamentalen Aspekte als auch die Charttechnik auf meiner Seite.
USD/JPY: Die BoJ dürfte bald erneut eingreifen
Und was den USD/JPY angeht, so könnte man mit einer kleinen spekulativen Short-Position darauf setzen, dass die Bank of Japan (BoJ) bald noch einmal in den Markt eingreift. Es sieht sogar schon nach einem solchen erneuten Eingriff aus. Der Kurs stand gestern seit etwa 16:36 Uhr unter Druck und hat weniger als eine Stunde später schon auf nur noch etwas mehr als 147,17 Yen nachgegeben.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus