Washington/Wilmington (Reuters) - Im Rennen um das Weiße Haus sieht sich der Demokrat Joe Biden im Endspurt zum Sieg.
Nach einer langen Auszählung sei klar, dass er ausreichend Bundesstaaten gewinne, um die Wahl für sich entscheiden zu können, sagte Biden am Mittwoch. Er habe Aussicht auf die dafür notwendigen 270 Stimmen im Wahlkollegium. Der Sender Fox, dessen Kommentatoren oft auf Seite von Amtsinhaber Donald Trump stehen, sah Biden am Mittwoch bereits bei 264 Stimmen. Laut dem Forschungsinstitut Edison Research, das mit den Fox-Konkurrenten ABC, CBS, CNN und NBC kooperiert, kam Biden dagegen zu diesem Zeitpunkt auf 243 Stimmen. Trump wurden jeweils 214 Stimmen zugerechnet. Der Republikaner hatte sich bereits zum Sieger erklärt und schaltete in Schlüsselstaaten wie Michigan und Pennsylvania die Gerichte ein. Er hatte im Wahlkampf immer wieder suggeriert, dass es Wahlbetrug geben könnte, ohne dafür Belege zu liefern.
“Ich bin nicht hier, um unseren Sieg zu erklären”, sagte Biden in seiner Heimat Delaware bei einem Auftritt mit der Kandidatin für die Vize-Präsidentschaft, Kamala Harris. Aber wenn die Auszählung beendet sei, gehe er davon aus, als Gewinner festzustehen. Zuvor hatte der 77-Jährige mit einem knappen Vorsprung in den umkämpften Bundesstaaten Wisconsin und Michigan seine Chancen auf einen Sieg entscheidend ausgebaut.
KEIN ERDRUTSCHSIEG FÜR BIDEN
Die Hoffnungen seiner Anhänger auf einen Erdrutschsieg hatten sich rasch zerschlagen. Bald nach Schließung der Wahllokale stand fest, dass Trump in Florida, Ohio und Texas gewonnen hat. Der 74-Jährige erklärte sich zum Sieger: “Ehrlich gesagt, haben wir gewonnen”, erklärte Trump. Doch in der Nacht und am Tag nach der Wahl wendete sich das Blatt zugunsten von Biden. Dabei gab es sowohl in Michigan als auch in Wisconsin ein denkbar knappes Rennen: In Michigan führt Biden mit 67.000 Stimmen oder 1,2 Prozentpunkten, in Wisconsin mit 20.000 Stimmen oder 0,6 Punkten. Da in Wisconsin der Vorsprung weniger als einen Prozentpunkt beträgt, kann eine Neuauszählung beantragt werden. Trumps Team kündigte an, dies zu tun. Vor vier Jahren hatte Trump die beiden Staaten im Mittleren Westen gewonnen.
In Michigan reichte Trumps Wahlkampfteam Klage ein, um die Stimmauszählung zu stoppen. Zur Begründung hieß es, es habe keine ausreichenden Möglichkeiten gegeben, die Auszählung zu überwachen. Auch in Pennsylvania versuchen Trumps Mitarbeiter, auf diese Weise die Stimmzählung auszusetzen. In dem Bundesstaat mit der Metropole Philadelphia mussten noch zahlreiche Briefwahlstimmen ausgezählt werden. Trumps Lager wollte sich zudem in eine bereits beim Obersten Gericht anhängige Klage einklinken, bei der über die Rechtmäßigkeit von spät eingehenden Briefwahlscheinen entschieden werden soll. Zuletzt war der Vorsprung Trumps in Pennsylvania auf rund 320.000 Stimmen zusammengeschmolzen.
BIDEN: NIEMAND STIEHLT UNS UNSERE DEMOKRATIE, NIEMALS
Biden betonte, jede Stimme müsse gezählt werden. “Niemand wird uns unsere Demokratie stehlen, nicht jetzt, niemals.” Amerika habe zu viele Kämpfe ausgefochten und zu viel ertragen, um das jemals geschehen zu lassen, sagte der ehemalige Vize-Präsident unter Trumps Vorgänger Barack Obama. Die Auszählung der Stimmen dauerte am Mittwochabend (MEZ) in mehreren Bundesstaaten weiter an, darunter in Arizona, Nevada, Georgia und North Carolina. Biden lag zwar landesweit mit rund drei Millionen Stimmen deutlich vor Trump. Aber diese Zahl hat wegen der Präsidentenkür durch das Wahlkollegium keine Bedeutung. Auch Hillary Clinton führte 2016 bei der sogenannten “popular vote” mit rund drei Millionen Stimmen und unterlag Trump.
Bei einer Niederlage wäre Trump der erste Amtsinhaber nach George H. W. Bush 1992, der nicht wiedergewählt wird. Der Präsident und sein Team schürten mit ihren Äußerungen zu angeblichem Wahlbetrug die Sorgen vor einer langwierigen gerichtlichen Auseinandersetzung, die die USA in eine Verfassungskrise stürzen könnte. Befürchtet werden auch Unruhen und eine noch tiefere Spaltung eines Landes, das bereits schwer erschüttert ist durch die Coronavirus-Pandemie, die damit einhergehende Wirtschaftskrise und monatelange Anti-Rassismus-Proteste.
Die Wahl stand ganz im Zeichen der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Wirtschaftskrise. Es war eine Abstimmung, wie es sie so in der Geschichte der USA noch nicht gegeben hat. Mehr als 100 Millionen Amerikaner stimmten schon im Vorfeld ab. Trump ist die Briefwahl ein Dorn im Auge, mehrfach hat er vor Unregelmäßigkeiten gewarnt. Umfragen zufolge machen vor allem Anhänger der Demokraten davon Gebrauch, während Republikaner bevorzugt am Wahltag selbst ihre Stimme abgeben.