Washington (Reuters) - Auch zwei Tage nach der US-Präsidentenwahl steht der Gewinner noch nicht fest. Für den demokratischen Herausforderer Joe Biden rückte ein Sieg näher.
Doch in einigen Bundesstaaten, in denen die Auszählung der Stimmen noch lief, lagen er und der republikanische Amtsinhaber Donald Trump nach wie vor Kopf-an-Kopf. Die unklare Lage verschärfte die angespannte Stimmung in dem tief gespaltenen Land. In mehreren Städten zogen sowohl Trump- als auch Biden-Anhänger auf die Straßen, einige von ihnen mit Waffen. Trump, der sich in einer auch international scharf verurteilten Rede bereits in der Wahlnacht zum Sieger erklärt hatte und den Demokraten Wahlbetrug vorwarf, ließ erste Klagen einreichen, mit denen er unter anderem die Auszählung in Bundesstaaten stoppen lassen will, die auf der Kippe stehen.
Der Leiter der Beobachtermission der OSZE für die US-Wahl erklärte dagegen, es seien keinerlei Regelverstöße festgestellt worden. “Es gab keine systemische Beeinträchtigung oder gar Manipulation”, sagte der FDP-Politiker Michael Georg Link dem Sender inforadio vom RBB. Die Forderung Trumps, die Auszählung der Stimmen zu stoppen, bezeichnete er als einen Tabubruch.
Erste Proteste von Trump-Anhängern gab es gleichwohl unter anderem in Arizona, wo Biden nach verschiedenen Hochrechnungen hauchdünn in Führung lag, das offizielle Ergebnis aber noch auf sich warten ließ. Etwa 200 zum Teil mit Gewehren und Pistolen bewaffnete Demonstranten versammelten sich in der Nacht zum Donnerstag vor einem Behördengebäude in Phoenix, in dem Wahlzettel ausgewertet wurden. Anlass waren Gerüchte, wonach absichtlich Stimmen für Trump nicht ausgezählt wurden. Die Menge, die sich mehreren bewaffneten Sheriffs gegenübersah, skandierte “Stoppt den Diebstahl” und “Zählt meine Stimme”, aber auch “Schande über Fox”. Der konservative Nachrichtensender Fox News und die Nachrichtenagentur AP hatten in der Wahlnacht einen Sieg Bidens in Arizona vermeldet, obwohl zu dem Zeitpunkt erst 70 Prozent der Stimmen ausgezählt waren.
DUTZENDE PROTESTE IM GANZEN LAND GEPLANT
In Detroit wurden etwa 30 Menschen, die meisten von ihnen Republikaner, daran gehindert, ein Gebäude zu stürmen, in dem Stimmzettel ausgewertet wurden. In anderen Städten forderten wiederum Trump-Gegner, die Auszählung fortzusetzen. Festnahmen wurden unter anderem aus New York, Denver, Minneapolis und Portland gemeldet. Dutzende weitere Proteste im ganzen Land wurden bis Samstag angekündigt.
Wie ein Kandidat in einzelnen Bundesstaaten abschneidet, ist wichtig. Denn über den Sieger entscheidet letztlich nicht die Mehrheit der landesweit insgesamt abgegebenen Stimmen, sondern das Wahlkollegium. Dieses setzt sich aus sogenannten Wahlleuten zusammen, die jeder Bundesstaat abhängig von seiner Bevölkerungszahl stellt. In der Regel werden alle Wahlleute eines Bundesstaats dem Kandidaten zugeteilt, der in diesem Bundesstaat am stärksten abschneidet.
Für einen Sieg sind mindestens 270 Wahlleute nötig. Bis Donnerstagmorgen hatte Biden laut einer Auswertung here der Wahl-Experten von Edison Research und der Nachrichtenagentur Reuters 243 Wahlleute sicher, Trump kam auf 214. In manchen Medien wurde Biden noch etwas deutlicher in Führung gesehen, weil sie ihm auch die zehn Wahlleute von Wisconsin bereits zuerkannten.
Im Fokus des Rennens standen vor allem noch fünf hart umkämpfte Staaten. Biden führte leicht in Nevada und Arizona, während Trumps knapper Vorsprung in Pennsylvania und Georgia dahinschmolz, je mehr die Auszählung der zahlreichen Briefwahl-Stimmen vorankam. Auch Trumps Führung in North Carolina fiel dünn aus. Er muss jedoch in allen diesen drei Staaten sowie entweder in Arizona oder Nevada gewinnen, um zu verhindern, dass er als erster Amtsinhaber seit George H.W. Bush 1992 nicht wiedergewählt wird.
“SIE FINDEN ÜBERALL BIDEN-STIMMEN”
Trump, der vor der Wahl in landesweiten Umfragen über Wochen hinter Biden lag und bereits da Zweifel an der Legitimität der Abstimmung geschürt hatte, brachte seine Anwälte in Stellung. Sie forderten einen Stopp der laufenden Auszählung in Michigan und Pennsylvania sowie in Georgia. In Wisonsin wiederum beantragten sie ob des knappen Ausgangs eine Neuauszählung.
Trump nimmt vor allem die Briefwahl ins Visier, die in diesem Jahr so viele Amerikaner wie noch nie nutzten, unter anderem um eine Ansteckung mit dem Coronavirus in Warteschlangen vor den Wahllokalen zu vermeiden. Umfragen zufolge machen vor allem Anhänger der Demokraten von der Briefwahl Gebrauch, während Republikaner bevorzugt klassisch am Wahltag selbst ihre Stimme abgeben. Da mit der Auszählung der Flut dieser Stimmzettel etwa in Pennsylvania erst am Wahltag selbst begonnen werden durfte, zieht sich die Auswertung hin.
“Sie finden überall Biden-Stimmen, in Pennsylvania, Wisconsin und Michigan. So schlecht für unser Land”, schrieb Trump auf Twitter. Biden forderte dagegen, jede Stimme zählen zu lassen. “Niemand wird uns unsere Demokratie wegnehmen, jetzt nicht und niemals.”