Am Dienstag hatte ich den Rückfall des EUR/USD unter sein Ausbruchsniveau in Zusammenhang mit Aussagen von Vertretern der Europäischen Zentralbank (EZB) gebracht, wonach eine frühe Zinsanhebung weiterhin abgelehnt wird (siehe „EUR/USD – Es droht ein weiteres Korrekturtief“). Gestern hat EZB-Präsidentin Christine Lagarde noch einmal bestätigt, dass eine rasche Zinswende für die EZB trotz der zurzeit hohen Inflation nicht in Frage komme. Die Europäische Zentralbank müsse geldpolitisch nicht so aggressiv vorgehen, wie es die US-Notenbank Fed voraussichtlich tun werde, sagte Lagarde einem französischen Hörfunksender. Denn: „Der Zyklus der wirtschaftlichen Erholung in den USA ist dem in Europa voraus“, so die Französin.
Ein schnelleres Ende der Anleihekäufe ist längst gerechtfertigt
Diese Aussage ist durchaus korrekt. Dennoch ist auch eine geldpolitische Straffung der EZB längst überfällig. Schließlich geben dies die fundamentalen Rahmenbedingungen in der Eurozone ebenfalls schon seit einer ganzen Weile her. Es ist daher kaum noch nachvollziehbar, dass die EZB laut ihrem aktuellen Beschluss vom 16. Dezember selbst Ende 2022 noch mehrere Milliarden Euro an frischer Liquidität in die Märkte pumpen will. Ein deutlich schnelleres Ende der Anleihekäufe ist stattdessen längst gerechtfertigt.
Deutsche Erzeugerpreise explodieren um 24,2 %
Dies auch vor dem Hintergrund, dass zum Beispiel in Deutschland die Erzeugerpreise erneut mächtig gestiegen sind. Um sagenhafte 24,2 % (!) sind die Erzeugerpreise gewerblicher Produkte im Dezember im Vergleich zum Vorjahresmonat gestiegen, teilte das Statistische Bundesamt am heutigen Donnerstag mit.
Damit hoben die deutschen Hersteller ihre Preise so stark an wie noch nie seit Beginn der Erhebung 1949. Im November lag der Wert bei 19,2 %. Auch von November auf Dezember, also im Vergleich zum Vormonat, zogen die Preise mit 5,0 % so stark an wie noch nie.
Nicht nur Energie lässt die Preise sprunghaft steigen
Hauptverantwortlich für die hohen Erzeugerpreise war abermals „Energie“, die sich im Dezember um durchschnittlich 69,0 % zum Vorjahresmonat verteuerte. Die Preise für Erdgas stiegen mit 121,9 % besonders stark, elektrischer Strom kostete 74,3 % mehr. Doch klammert man „Energie“ aus, lagen die Erzeugerpreise insgesamt immerhin um 10,4 % über dem Vorjahreswert.
Energie ist also nicht der einzige Preistreiber. Bei Metallen zum Beispiel gab es ein Plus von 36,1 %. Besonders hoch waren die Preisanstiege gegenüber dem Vorjahr auch bei Sekundärrohstoffen (+69,1 %), Verpackungsmitteln aus Holz (+66,9 %) sowie Düngemitteln und Stickstoffverbindungen (+63,5 %), deren Preise allein gegenüber dem Vormonat November um 13,8 % stiegen. Wellpapier und Wellpappe, die für die Verpackungsindustrie eine wichtige Rolle spielen, kosteten 41,3 % mehr als ein Jahr zuvor, so das Statistische Bundesamt zu seinen Erhebungen.
Aber auch Verbrauchsgüter stiegen teilweise kräftig im Preis. Futtermittel für Nutztiere kosteten 26,8 % mehr, Getreidemehl 21,5 %. Butter war 48,1 % teurer als ein Jahr zuvor. Rindfleisch kostete 18,8 % mehr als im Dezember 2020, Kaffee war 10,6 % teurer als ein Jahr zuvor.
Nur Basiseffekte werden die Inflation drücken
Und da die Produzentenpreise als Vorläufer für die Entwicklung der Verbraucherpreisebene gelten, ist mit einer nennenswerten Abschwächung der Inflation zu Beginn des Jahres 2022 nur aufgrund von Basiseffekten zu rechnen. Dabei wird die Inflation weit über dem Ziel der EZB von 2 % bleiben. Und das wird sich auf absehbare Zeit auch nicht ändern.
EZB agiert taktisch, aber nicht glaubwürdig
Selbst die EZB rechnet im laufenden Jahr aktuell mit einer Inflation von durchschnittlich 3,2 %, nachdem sie im September noch von nur 1,5 % ausgegangen war. Und ob sich die Inflation, wie von der EZB derzeit erwartet, im kommenden Jahr auf 1,8 % abschwächt, steht in den Sternen.
(Quelle: Europäische Zentralbank)
Dass die EZB die Inflation mit ihren mittelfristigen Prognosen weiterhin kleinredet, ist reine Taktik. Schließlich lag sie mit ihren bisherigen Prognosen meilenweit daneben. Die EZB hält nur deshalb an den teils viel zu niedrigen Prognosen fest, um die Inflation verbal zu bekämpfen. Denn ansonsten würde die EZB dazu beitragen, dass sich der Inflationstrend verstetigt und der Preisdruck womöglich sogar noch zunimmt. Insofern macht die EZB taktisch vieles richtig.
Dennoch ist kaum nachvollziehbar, dass die Anleihekäufe nicht schneller beendet werden. Es erscheint zwar logisch, dass die EZB mit ihren jüngsten Beschlüssen zu den Anleihekäufen und den Anpassungen am Anleihekaufprogramm APP den Märkten Sicherheit und Transparenz geben wollte, um Marktverwerfungen zu verhindern, doch wäre es angesichts der vielen Übertreibungen und vereinzelter Blasen nicht nur am Aktienmarkt durchaus möglich gewesen, den Märkten einen kleinen Dämpfer zu verpassen. So warnte EZB-Vizechef Luis de Guindos gestern vor einer Überbewertung auf den Wohnungsmärkten und explodierenden Immobilienpreisen, welche Risiken für das Finanzsystem bergen.
Ich rechne daher damit, dass auch die EZB ihre aktuellen Pläne für die Anleihekaufprogramme in Zukunft anpassen wird, wenn nicht für das PEPP, dann zumindest für das APP, und das womöglich bereits auf ihrer anstehenden Sitzung Anfang Februar. Zumal sich aus den jüngsten EZB-Protokollen herauslesen lässt, dass mehrere Ratsmitglieder Teile der letzten Beschlüsse nicht mitgetragen haben.
Hohe Inflation drückt auf die Kauflaune der Konsumenten
Die EZB riskiert bei einer abwartenden Haltung auch, dass der Schuss nach hinten losgeht. Schließlich drückt eine höhere Inflation auf die Kauflaune der Verbraucher. Und dies könnte den Wirtschaftsaufschwung abwürgen, den die EZB mit ihren Anleihekäufen und Niedrigzinsen eigentlich am Leben erhalten bzw. befeuern will.
Ein Beispiel dafür sind die USA. Dort kletterte die jährliche Inflation im Dezember sogar auf 7 % (siehe auch Börse-Intern vom 12. Januar, Eurozone: 5 %, siehe auch Börse-Intern vom vergangenen Dienstag). Laut dem US-Arbeitsmarktbericht vom 7. Januar stiegen die durchschnittlichen Stundenlöhne im selben Monat um 4,7 % im Vergleich zum Vorjahr.
Damit sind die Stundenlöhne real um 2,3 % gesunken. Und das bedeutet einen Kaufkraftverlust der Verbraucher. Deren Stimmung hat sich entsprechend eintrübt. Der Index für das Verbrauchervertrauen der University Michigan gab für Januar wieder nach, auf 68,8 Punkte, nachdem er sich im Vormonat auf 70,6 Zähler erholen konnte, von 67,4 im November.
Die Stimmung der Verbraucher bleibt damit stark eingetrübt. Und das zeigt sich auch in den harten Fakten. So haben die US-Einzelhändler im Dezember im wichtigen Weihnachtsgeschäft weniger umgesetzt. Die Erlöse fielen um 1,9 % niedriger aus als im Vormonat.
Ökonomen rechneten dagegen zumindest mit Stagnation, nachdem es im November noch ein Plus von revidiert 0,2 % gegeben hatte.
Märkte lassen langsam Luft ab
An den Märkten hat es entsprechende Kursreaktionen gegeben. An den Aktienmärkten zeigen sich klar korrektive Tendenzen, wenn auch in unterschiedlichem Tempo. (Leser des „Börse-Intern Premium“ haben dazu gestern eine interessante Chartanalyse erhalten, in der die Kursentwicklungen des Nasdaq 100 mit denen des S&P 500 verglichen werden. Nutzen Sie noch schnell die bald endende Neujahrs-Aktion! Mit dieser können Sie die Chartanalyse im Börsenbrief-Archiv nachlesen.) Auch das höhere Tempo der Notenbanken wird bereits eingepreist. Denn die Renditen haben im laufenden Jahr schon deutlich angezogen, was wiederum die Aktienmärkte zusätzlich belastet.
Anleiherendite höher als Dividendenrendite
Zumal die Dividendenrendite (zum Beispiel des S&P 500) inzwischen niedriger als die Anleiherendite (zum Beispiel 10-jähriger US-Staatsanleihen) ist. Institutionelle Anleger, die auf der Suche nach regelmäßigen Zinszahlungen sind, haben also inzwischen wieder einen guten Grund, den Aktienanteil zu reduzieren und in Anleihen umzuschichten.
Solche Umschichtungen finden langsam, schrittweise und über einen längeren Zeitraum statt. Und daher dürften die aktuellen Tendenzen an den Märkten auch noch eine Weile anhalten. Und so bleibe ich bei der Erwartung aus der Börse-Intern vom 21. Dezember: 2022 dürfte für Aktionäre schlechter laufen als 2021.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus