Die treibenden Motoren an den Börsen waren auch gestern wieder der weiter voranschreitende Renditerückgang der US-Staatsanleihen und die nicht gestiegene Eskalation im Nahostkonflikt. Mit aktuell 4,664% für die 10y-US Treasuries setzt sich die Rallye der Anleihen heute früh nicht fort. Im Libanon wird heute der Hisbollah-Anführer Nasrallah eine Rede halten. Aggressive Freitagsreden sind in der islamischen Welt weit verbreitet und da sich in den letzten Tagen die Zusammenstöße an der Grenze gehäuft haben, muss damit gerechnet werden, dass gedroht und im schlimmsten Fall gar eine Kriegserklärung gegen Israel ausgesprochen werden. Je nach Wortlaut könnte Nasrallahs erster öffentlicher Auftritt seit dem 7. Oktober von den Investoren als neue Eskalation interpretiert werden. Die Hisbollah wird vom Iran „ferngesteuert“, er wird also seine Worte so wählen, wie Teheran es vorgibt. Deshalb wird der Rede große Bedeutung zukommen, weil dies die Marschrichtung des Iran indiziert. Die große Mehrheit der Libanesen will keinen Krieg. Das Land ist politisch jedoch tendenziell führungslos. Deshalb gilt die Hisbollah mit ihren Zehntausenden Anhängern als „halboffizielle“ starke politische Macht. Daher ist es denkbar, dass vor dem Wochenende so wie an allen letzten Freitagen neuer Absicherungsbedarf an den Börsen entsteht, sollte die Rede schlimme Befürchtungen wecken.
Dem entsprechend abwartend präsentiert sich heute früh Europa. Ein wenig liegt das auch an Apple (NASDAQ:AAPL). Das Unternehmen legte gute, aber keine begeisternden Zahlen vor. Derzeit notiert der Aktienkurs 3% tiefer. Hauptgrund: das Unternehmen erwartet lediglich stagnierende Umsätze für das Weihnachtsquartal. Konjunkturseitig steht heute Nachmittag der US-Arbeitsmarktbericht an. Relevant wird insbesondere die Entwicklung der Stundenlöhne, hier wird ein Anstieg von 0,3% im Oktober ggü. September erwartet. Später wird dann noch der Oktober US-Einkaufsmanagerindex im nicht-verarbeitenden Gewerbe publiziert. Die gestrige Rallye an den US-Börsen (ETR:SXR4) wurde auch unterstützt von der Meldung, dass die US-Arbeitsproduktivität gestiegen sei, was den Unternehmen hilft, den inflationären Druck auszugleichen. Ökonomen erwarten für heute, dass die Zahl der neu geschaffenen Jobs am US-Arbeitsmarkt (außerhalb der Landwirtschaft) um 180T Stellen (Sep 336T) gewachsen ist. Schwächere Werte unterstützen wohl den Abwärtstrend der Renditen, können aber laut JPMorgan (NYSE:JPM) Rezessionsängste schüren und Befürchtungen über verschärfte Finanzierungskonditionen (private Kreditausfälle) verstärken. Ein zu starker Report wiederum könnte die jüngste Rallye der Anleihen beenden.
In Fernost kletterte der Hang Seng Tech Index heute um 3,5%. Dieser Anstieg hatte sich bereits gestern an den US-Börsen abgezeichnet, wo viele chinesische Techwerte gehandelt werden. Der von Caixin erhobene Service-Einkaufsmanagerindex legte im Oktober von 50,2 auf 50,4 zu – was im Gegensatz zu der offiziellen Statistikbehörde steht, die gestern einen Rückgang vermeldet hatte. Zwar berichtet der Report von lustloser Aktivität der Konsumenten, aber das Ergebnis beider Institute signalisiert trotzdem Wachstum, was den chinesischen Festlandsindizes zu einer leichten Erholung verhalf. Wie schon seit Wochenanfang in Europa zeigen sich nun auch in den USA die Nebenwerte besonders stark: der Russell 2000 führte gestern die Indizes an. Zum einen stehen die Small Caps in etwa auf dem Level von Ende 2022, was Schnäppchenjäger anlockt. Zum andern kann es sein, dass der Renditerückgang diesen Unternehmen besonders hilft, weil er Hoffnungen auf bald wieder bessere Finanzierungsbedingungen weckt. Das dürfte auch der Grund sein, warum Immobilienaktien zuletzt besonders gut performten. Die wieder stark gesunkenen Creditspreads (Investmentgrade vs High Yield) indizieren, dass diese These stimmen könnte.