Die seit Jahresanfang bestehende Zerrissenheit der Aktienmärkte zeigte sich gestern erneut eindrucksvoll. Angeführt von Nvidia (NASDAQ:NVDA) schossen die Technologieaktien, die mit dem Thema Künstliche Intelligenz in Verbindung stehen, senkrecht nach oben. Insbesondere ASML (AS:ASML) und Taiwan Semiconductor (NYSE:TSM) profitierten als direkte Lieferanten von Nvidia, aber auch andere Global Titans wie Microsoft (NASDAQ:MSFT) und Alphabet (NASDAQ:GOOGL) wurden mitgezogen von der weiter aufgeheizten Euphorie. Das befeuerte viele regionale Indizes und übertünchte einmal mehr, dass die meisten Aktien und Sektoren auch gestern wieder eher schwächlich tendierten.
Das Feilschen um die jeweiligen Interessen bei der erforderlichen Anhebung des US-Schuldenlimits scheint in eine neue Phase eingetreten zu sein. Sowohl CNBC als auch Bloomberg berichten von einigen Pflöcken, die wohl bereits eingeschlagen sind. Es geht jetzt noch um die Themen, bei denen die Positionen am weiterten auseinander liegen, aber es werden auch schon konkrete Punkte genannt, wo anscheinend Einigung erzielt wurde. So soll wohl bereits vereinbart sein, den Verteidigungsetat um 3% zu erhöhen und Geld bereit zu stellen, um das Stromnetz zu modernisieren und auszubauen. Zudem sollen die Zulassungsverfahren für neue Pipelines beschleunigt werden. Auch davon, dass 10 Mrd USD am Inflation Reduction Act eingespart werden sollen, ist bei Bloomberg die Rede. Alles in allem klingt es danach, dass der Abschluss eines Deals fast erreicht ist. Dennoch schreibt Reuters, dass sich etliche Investoren Gedanken machen, was mit den 14 T-Bills passiert, die im Juni fällig werden und wie die Staatsanleihen, die dann auslaufen, behandelt werden, falls sich die USA dann im Default befindet, also weder Rückzahlung noch Zinsen bedienen kann. Die Wahrscheinlichkeit eines Kollapses ist niedrig, zumal es wohl die Hintertür gibt, diese Papiere jeweils um einen Tag zu verlängern. Aber das wäre ein Prinzipienbruch. Zudem ist auch der 4 Bio USD schwere Repomarkt, der die kurzfristige Refinanzierung der Banken sichert, temporär gefährdet. Wie gesagt, das Risiko eines Defaults ist gering, aber nicht "0".
Die europäischen Börsen reagierten in der Eröffnung freundlich auf diese Entwicklung. Der ESX 50 legte um 0,6% zu, notiert aber 2 Stunden nach Handelsstart nur noch behauptet. Die Nackenschläge enttäuschender Daten aus der Industrie belasten weiterhin das Sentiment in Europa. Ohne die Sonderrallye des Schwergewichts ASML hätte sich der Abschwung nach dem Einbruch vom Mittwoch gestern fortgesetzt. Auf Branchenebene zeigen sich heute früh Techwerte erneut freundlich. Zudem stützen Basisrohstoffe, Automobile und Gesundheit insbesondere den STXE 50. Auf der Gegenseite belasten Versorger (NYSE:XLU), Telefongesellschaften und Finanzwerte. Etwa 50% der Werte in STXE und ESX 50 notieren positiv, die andere Hälfte schwächer – es fehlen eindeutig frische Mittelzuflüsse. Europa steuert trotz wankender Industrie auf weitere Zinserhöhungen zu. Die Euroraum-Inflation wird im Mai laut Unicredit (BIT:CRDI) wohl auf 6,1% nach 7% im April sinken, die Kerninflation auf 5,3 nach 5,6%. Trotzdem sind diese Werte für die EZB unakzeptabel hoch.
Zum Wochenausklang haben sich die Kurse in Japan und Korea unter Führung der Technologiewerte weiter erholt. China schloss gut behauptet. Hongkongs Börse blieb wegen Buddhas Geburtstag geschlossen. In Japan hat sich der Anstieg der Kerninflation leicht von 3,3 auf 3,2% verlangsamt. Trotzdem zieht der Yen leicht an, was von der Commerzbank (ETR:CBKG) dahingehend interpretiert wird, dass eine gewisse Hartnäckigkeit in der inflationären Entwicklung festzustellen sei. Die Bank vermutet deshalb, dass die BoJ ihren Zielzinssatz im Sommer leicht nach oben anpassen könnte.
Heute Nachmittag dominiert eine Flut an US-Zahlen: u.a. Auftragseingänge, Einkommen/Ausgaben und der überaus wichtige PCE-Preisindex.
Der APX verlor gestern sechs Punkte (EM-Anleihen, S&P 500 und DAX). Heute gewinnt er vier Punkte zurück: +1 EM-Bonds, +3 S&P 500.