Investing.com - Steigende Zinsen, eine hartnäckig hohe Inflation und eine drohende Gewinnrezession: dem US-Aktienmarkt droht gerade von vielen Seiten Ungemach. Entsprechend ernüchternd fällt das Urteil der meisten Aktienstrategen zu den Perspektiven für den S&P 500 aus. Neben den Experten von Morgan Stanley (NYSE:MS) warnen auch die von Goldman Sachs (NYSE:GS) und der Bank of America (NYSE:BAC) vor einem erneuten Rückfall des US-Leitindex auf die Jahrestiefs 2022. Jonathan Golub von der Credit Suisse (SIX:CSGN) sieht das allerdings anders.
Anfang letzter Woche meinte der Dauerbär Mike Wilson aus dem Hause Morgan Stanley, er sei mehr und mehr der Überzeugung, dass der S&P 500 im nächsten Jahr in den unteren Bereich der 3000er-Marke fallen werde. Selbst Marko Kolanovic von JPMorgan (NYSE:JPM), der 2021 zu den größten Aktien-Bullen gehörte, änderte kürzlich seine Meinung und reduzierte das Risikoengagement der Bank.
Golub, der Chefstratege für US-Aktien bei der in Zürich ansässigen Bank, gilt ebenso wie Kolanovic als ausgewiesener Wall Street-Bulle. Bereits Ende 2021 gehörte er zu den wenigen, die sich trotz der hohen Bewertungen weiterhin optimistisch für US-Aktien zeigten. Heute, genau ein Jahr später, zählt Golub wieder zu den ganz wenigen Aktienstrategen, die solide Renditen für US-Aktien erwarten.
In seiner jüngsten Kundenmitteilung schrieb Golub, dass sich das erholende Verbrauchervertrauen positiv auf die Aktienmärkte auswirkt. Das gestiegene Konsumklima führte er auf sinkende Inflations- und Benzinpreise, höhere Löhne und ein reichliches Stellenangebot zurück.
"Der Verbraucherpreisindex sollte in den nächsten 12 Monaten um 4 bis 5 % fallen, während das Lohnwachstum auf einem hohen Niveau bleiben dürfte. Ebenso dürfte die angespannte Arbeitsmarktlage anhalten, was in der Folge auch das Vertrauen weiter stärken wird", schrieb Golub in einer Kundenmitteilung.
Ein solches Umfeld "sollte zu höheren Konsumausgaben führen, den Beginn der nächsten Rezession hinauszögern und die Marktrallye verlängern", resümierte Golub.
Gewinnrezession droht
In ihren Prognosen für 2023 verweisen die meisten Aktienanalysten auf das Risiko einer Gewinnrezession. Einige renommierte Marktstrategen prognostizieren für 2023 entweder kein Gewinnwachstum oder gar einen Gewinnrückgang.
Für das vierte Quartal 2022 wird für den S&P 500 ein Gewinnrückgang von 1,1 % im Vergleich zum Vorjahresquartal vorausgesagt. Es wäre der erste vierteljährliche Gewinnrückgang seit dem dritten Quartal 2020.
Dennoch wird für 2023 weiterhin mit einem Gewinnwachstum gerechnet. Für den US-Leitindex S&P 500 prognostizieren die Marktexperten für das Gesamtjahr nach wie vor einen Gewinnzuwachs von 4,7 %, nach einem geschätzten Wachstum von 5,7 % im Jahr 2022.In letzter Zeit wurden diese Schätzungen jedoch regelmäßig nach unten korrigiert.
Mike Wilson, Chefstratege für US-Aktien bei Morgan Stanley, warnte unlängst, dass "der Markt nicht immer effizient genug ist, größere Gewinneinbrüche einzupreisen, bevor sie tatsächlich eintreten".
BlackRock (NYSE:BLK) schrieb in seinem Jahresausblick 2023, dass die Gewinnerwartungen noch keine Rezession berücksichtigen würden.
Das erwartete 12-Monats-KGV des S&P 500 ist von 22 Ende Dezember 2021 auf jetzt etwa 17 gesunken, liegt damit aber immer noch über dem langfristigen Durchschnitt von etwa 16.
"Ein KGV von rund 17 auf 12-Monats-Sicht ist aus historischer Sicht nicht gerade billig", so der Börsenkommentator Mike Zaccardi. "Mehr noch, die Gewinnmultiples am Ende von Bärenmärkten bewegen sich häufig auf sehr niedrigem Niveau - im Durchschnitt um 12,0."
Der S&P 500 schloss am Freitag bei 3.844,82 Punkten. Im Jahresverlauf ist er damit um 18,6 % gefallen.
von Robert Zach