Was war der wichtigste Grund für die hohen Verluste der Vorwoche? Wesentlich dürften die Nachrichten um die Chipindustrie (ETR:VVSM) dazu beigetragen haben. Dieser Sektor stellt mit Nvidia (NASDAQ:NVDA), Broadcom (NASDAQ:AVGO) und TSMC gleich drei der zehn globalen Top Titans. ASML (AS:ASML) ist Ultraschwergewicht im ESX 50 und Japans Nikkei 225 wird von vielen Halbleitrunternehmen geprägt. Leichte Enttäuschung über die ASML Q3-Prognose und Befürchtungen über Lieferbeschränkungen von und nach China bremsten die Euphorie für den massiv überkauften Sektor. Große Sorgen bereitete aber auch ein altes Thema, das durch ein Interview mit Donald Trump wieder hochkam: wie gefährdet ist Taiwan? Die Insel ist wichtigste Werkstätte für zahllose Chips, die in vielen Bereichen des täglichen Lebens benötigt werden. Sollten im theoretischen Falle eines Angriffs durch China die taiwanesische Exporte kollabieren, hätte dies heftige Auswirkungen auf den globalen Handel und die unterschiedlichsten Branchen – abgesehen von dem Börsenschock, den das Event an sich bereits auslösen würde. Dieses geopolitische Risiko wurde wohl letzte Woche ein Stück weit eingepreist. Die kräftigen Gewinnmitnahmen am Donnerstag und Freitag nach dem fulminanten Lauf der Tage zuvor bei den Nebenwerten und dem breiten Markt ex Titans zeigen zudem, dass die von vielen Analyten lange erwartete große Rotation kein Selbstläufer wird. Es gab letzte Woche kaum einen Tag, an dem frisches Geld in die Märkte floss – zunächst waren es meist lediglich Umschichtungen und gegen Wochenschluss Abgaben aus nahezu allen Sektoren von Large bis Small Cap.
Heute früh starten die US-Futures positiv in die Woche, was den europäischen Indizes Aufwind verleiht: der STXE 600 legt 1% zu. Ein Grund könnte sein, dass Chinas Zentralbank heute früh zahlreiche Zinssätze für kurzes und langes Geld um jeweils 10 Basispunkte gesenkt hat. Dies wird in direktem Zusammenhang mit der Klausurtagung der chinesischen Führung gesehen und gilt als Indiz, dass Peking ein wenig aktiver wird, um das angestrebte Wachstumsziel von 5% für 2024 doch noch zu erreichen. Auswirkungen auf Chinas Börsen hatte die Senkung jedoch nicht: die Festlandindizes schlossen lediglich knapp behauptet, der Shanghai Composite gab mit 0,6% sogar deutlicher nach. Lediglich der Hang Seng reagierte mit +1,3% positiv. Weiter im Abwärtssog hingegen Japan: der Nikkei 225 rutschte weiter ab, heute früh um 1,2%. Unter besonderem Abgabedruck standen Elektronik- und Schwerindustriewerte wie Hitachi und Advantest. Verluste in ähnlicher Größenordnung verbuchte auch Südkorea, wo insbesondere Chipwerte und Batteriehersteller abgestoßen wurden. Australiens S&P/ASX-200 gab um 0,5% nach. Ein Auslöser für die Schwäche der asiatischen Techwerte war wohl Morgan Stanley (NYSE:MS): deren Strategen empfehlen Gewinnmitnahmen aus dem AI-Sektor und strichen die Chipgiganten TSMC (NYSE:TSM), SK Hynix und Tokyo Electron von ihrer Fokusliste.
Der Verzicht von Joe Biden auf die US-Präsidentschaftskandidatur und sein Vorschlag, Kamala Harris ins Rennen zu schicken, scheint Europas Börsen zu beeinflussen. Der Wahlausgang dürfte nun wieder offener sein. Deshalb wird heute früh der „Trump Trade“ an den Börsen ein wenig zurück gedreht: die Renditen der langfristigen US-Staatsanleihen fallen leicht zurück (die Republikaner stehen für eine lockerere Fiskalpolitik), ebenso Bitcoin. Auf der Gegenseite legt z.B. Clean Energy (NASDAQ:ICLN) zu. Europas robuster Start in die Woche könnte deswegen damit zu tun haben, weil sich Trump zur Gegenfinanzierung großzügiger Ausgabenpolitik für höhere Importzölle ausspricht. Deshalb verpuffen wohl auch die aus Deutschland kommenden neuen negativen Konjunkturmeldungen: die Exporte in Staaten außerhalb der EU sanken im Juni ggü. Mai um 2,6%, ggü. Vorjahr um 4,5%. Zudem meldet das ifo-Institut, dass sich das Geschäftsklima in der chemischen Industrie im Juni nach vier positiven Monaten in Folge wieder eingetrübt hat.
Der APX verlor seit Donnerstag 8 Punkte wegen US-Vola, S&P 500, STXE 500 und DAX.