Das Original des Artikels erschien am Samstag, dem 2. November 2019, unter dem Titel 'BreakOut Fake-Out?' von Sven Henrich auf NorthmanTrader.com.
Die Fed senkte die Zinsen, die EZB startete offiziell das QE, und eine Parade von Regierungsvertretern kündigte zum gefühlt hundertsten mal Fortschritte beim scheinbar endlosen Hick-Hack um den Handelsdeal mit China an und voilà: S&P 500 und Nasdaq steigen auf neue Rekordhochs: Aber handelt es sich bei diesem Breakout vielleicht doch nur um einen Fakeout?
Lassen Sie uns einige unbequeme Fakten, Charts und Perspektiven näher beleuchten.
Erstens, und lachen Sie jetzt nicht gleich drauf los, lassen Sie uns zumindest kurz über die Fundamentaldaten sprechen.
Das BIP-Wachstum verlangsamt sich weiter:
Anfang dieser Woche veröffentlichte das Handelsministerium die BIP-Zahlen für das dritte Quartal, die im Vergleich zum dritten Quartal 2018 eine deutliche Verlangsamung zeigten. Das reale BIP-Wachstum hat sich in diesem Jahr von 2,9% auf 1,9% verlangsamt. Der private Konsum hat sich von 3,5% auf 2,9% abgeschwächt. Die Dienstleistungen sind von 3,4% auf 1,7% zurückgegangen. Und die privaten Bruttoinvestitionen sanken von 13,7% auf minus 1,5%.
Am Freitag, also an dem selben Tag, als die Märkte auf neue Rekordhochs stiegen, senkten sowohl die Atlanta Fed als auch die New Yorker Fed ihre jeweilige Schätzung für Bruttoinlandsprodukt im Schlussquartal auf 1,1% bzw. 0,8%.
Zeigen Sie mir irgend eine andere Situation in der Geschichte, wo die Märkte mit einem Wachstumsclip von 1% im vierten Quartal nachhaltig neue Allzeithochs erreichten. Viel Glück bei der Suche!
Am Freitag hat der Chicago Einkaufsmanagerindex mit 43,2 Punkten die Erwartungen verfehlt. Gerechnet wurde mit einem Wert von 47 Punkten:
Und auch der ISM-Index Industrie zeigte am Freitag mit 48,3% einen anhaltenden Rückgang der Aktivität, wenngleich er mit 47,8% eine moderate Verbesserung gegenüber seinem Septemberwert aufwies.
Woher dann aber die plötzliche Euphorie am Freitag? Angeblich hat der Arbeitsmarktbericht die bereits geringe Erwartungshaltung übertroffen. Dass der Trend des Beschäftigungswachstums aber stetig nach unten zeigt, wurde dabei völlig außer Acht gelassen.
Allen voran ist die Schaffung von Arbeitsplätzen in der Privatwirtschaft zu nennen, die das ganze Jahr über gesunken ist.
Aber nichts davon ist für diese Börse in diesen Tagen von Bedeutung, ganz zu schweigen davon, dass der Arbeitsmarkt ein nachlaufender Indikator ist.
Warum spielen die Fundamentaldaten keine Rolle mehr? Ganz einfach: dank der US-Notenbank Fed. Während S&P-Unternehmen nunmehr auf den dritten vierteljährlichen Gewinnrückgang in Folge zusteuern, setzt sich die multiple Expansionsmaschine im Jahr 2019 unaufhaltsam fort und stellt damit den primären Grund für das Bullenszenario dar: Die synchronisierte globale monetäre Lockerung wird nach Ansicht der Strategen von JPMorgan (NYSE:JPM) die Märkte noch höher treiben.
Dies kann durchaus passieren oder eben auch nicht.
Es darf keinen Fehler geben: Die Fed unter Jay Powell ist der wichtigste Preisfindungsmechanismus in diesem Markt. Wem werden Sie glauben? Mir oder Ihren eigenen Augen?
Im Januar trieb Powell die Märkte mit seiner "vielsagenden" Rede an nur einem Tag um über 3,5% nach oben. Und jede einzelne Korrektur in diesem Jahr hat in den warmen Armen der Onkel Fed ein abruptes Ende gefunden. Der Pullback im März ging nach dem 60-minütigen Interview von Jay Powell zu Ende. Die Mai-Korrektur war beendet, als Jay Powell Anfang Juni Handlungsbereitschaft signalisierte. Und er tat, was er versprach. Er senkte im Juli die Zinsen, aber es funktionierte nicht ganz wie geplant. Die Märkte erlebten einen Ausverkauf. Aber keine Panik. Am 23. August, angesichts der massiven Marktturbulenzen, kündigte Jay Powell weitere Zinssenkungen an, und die Märkte erholten sich. Und im September servierte er den Märkten eine zweite Zinssenkung, aber wieder wurden die Märkte abverkauft. Welch eine Enttäuschung.
Mehr Feuerkraft wurde benötigt, da die Übernachtzinsen plötzlich in die Höhe schnellten und so begann die Fed Mitte September mit ihren Repo-Aktivitäten. Aber auch das war nicht genug. Die Märkte standen noch bis Anfang Oktober unter Druck.
Was hat Powell gemacht? Er startete Anfang Oktober den Erwerb von T-Bills für rund 60 Milliarden Dollar pro Monat und betonte, es handle sich dabei um kein QE. Die Märkte hatten seitdem keine einzige Verlustwoche mehr. Und diese Woche hat die Federal Reserve die Zinsen wieder gesenkt.
Das Gesamtbild: Dies ist die interventionistischste Fed seit Ben Bernanke. Sie glauben mir nicht? Schauen Sie sich die Bilanz seit September an. Die Fed ist außer Kontrolle geraten:
Fassen wir die Fakten zusammen:
Seit Juli hat die Fed die Zinsen dreimal gesenkt, seit September hat sie ihre Bilanz um 261 Mrd. Dollar angehoben, sie hat Repo-Operationen durchgeführt, die im Oktober auf 120 Mrd. Dollar pro Tag erhöht wurden, sie hat ein 60 Mrd. Dollar schweres Programm zum Kauf von T-Bills gestartet, das allesamt verzweifelt darauf ausgerichtet ist, künstliche Liquidität in das System zu pumpen und die Zinsen zu drücken. Ich wiederhole mich: Dies ist die interventionistischste Fed seit Ben Bernanke.
Und genau das hat es gebraucht, um die Märkte auf neue Rekordhochs zu bringen.
Aber was genau ist besser als im letzten Jahr? Wachstum? Unternehmensgewinne? Nichts davon. Es bleibt nach wie vor ein Spiel mit der multiplen Expansion. Und was haben wir jetzt? Wir stehen mit 23 Billionen Dollar in der Kreide, fahren ein Billion Dollar schweres Defizit, sehen ein BIP von 0,8% bis 1,1% im vierten Quartal und eine Aktienmarktbewertung von 145% des Bruttoinlandsprodukts.
Die Fed behauptet, dass es sich nicht um QE handelt, aber die Märkte verhalten sich genau so.
Schauen wir uns nun ein paar aktuelle Charts an:
Alle Kursgewinne sind mit offenen Gaps und massiven Rallyes einhergegangen, die praktisch keine Intraday-Preisbewegungen aufweisen:
Das Ergebnis? Genau wie in den QE-Tagen wird die Volatilität unterdrückt. Am Freitag ist der VIX praktisch gestorben:
Denken Sie, das ist normal? Wohl kaum. Ist es nachhaltig? Fragwürdig.
Tatsächlich können wir wieder einmal beobachten, wie die Kurse sich in sehr engen Keilmustern unter extremer Volatilitätskompression nach oben aufschwingen:
Sie werden feststellen, dass der Kurs am Freitag leicht über der oberen Trendlinie schloss, und wir können diesen Tick nach oben auch auf der größeren Megaphone-Formation sehen:
Ich möchte zu Protokoll geben, dass ein Breakout erst dann bestätigt ist, sobald dieser wieder getestet wurde. Dies ist noch nicht geschehen.
Auf einem längerfristigen Chart haben wir die obere Trendlinie noch nicht überschritten:
Die Kernfrage lautet daher: Handelt es sich dabei um einen echten Breakout oder doch nur um einen Fakeout?
Hier einige Überlegungen:
Zum einen ist diese aktuelle Kernschmelze beim VIX völlig ungetestet:
Neue Rekordhochs sind wieder einmal mit tieferen Hochs beim Value Line Geometric Index einhergegangen:
Die Allzeithochs bleiben also unbestätigt.
Die neuen Hochs sind mit negativen Divergenzen einhergegangen:
Und wenn es eine gewisse Stärke gab, ist sie nicht im NYMO zu finden, der am Freitag mit einem tieferen Hoch aus dem Handel ging:
Ich könnte noch mehr zeigen, aber Sie verstehen sicherlich, was ich meine: Diese Rallye bleibt dünn, volumenschwach, signaltechnisch dünn und völlig abhängig von der Volatilitätskernschmelze.
Sowohl Smallcaps als auch Transports haben noch immer keine neuen Hochs erreicht:
Aber wir sehen steigende Kurse bei Bank-Aktien:
Und auch Breakouts bei einigen Indizes, aber ALLE stehen vor massiven Widerständen:
Im Hinblick auf die Aufwärtsrisiken. In meinem Bullenszenario vom April ist der ES nur einen Katzensprung vom 2.618 Fib entfernt:
Und damit Sie den historischen Kontext noch etwas besser verstehen, gebe ich Ihnen noch das mit auf den Weg:
Im Jahr 2007 erreichte der SPX im Juli neue Rekordhochs und dann, nach den Leitzinssenkungen der Fed, stieg er im Oktober erneut auf ein neues Allzeithoch. Um genau zu sein: das neue Hoch lag 1,297% über dem ehemaligen.
Food For Thought!
Das war damals das Allzeithoch. Da wusste es aber noch niemand. Das Wachstum verlangsamte sich, die Bewertungen waren hoch, die Wall Street war bullisch, die Subprime-Krise wurde unter Kontrolle gebracht, und es kam keine Rezession. Aber sie kam dann eben doch. Im Dezember war es soweit.
Warum sind diese 1,297% so wichtig?
Nun, Sie werden die Ironie zu schätzen wissen. Im Juli diesen Jahres erreichte der SPX ein Hoch von 3028. Von dort ging es noch 1,297% höher? Am Freitag schloss der S&P 500 genau paar Prozentpünktchen höher:
Jetzt räume ich voll und ganz ein, dass dies vielleicht absolut nichts bedeutet, aber es ist zumindest ein interessanter Zufall.
Wir werden nächste Woche sicherlich mehr wissen.
Unterm Strich: Von meiner Warte aus bleibt dieser Breakout unbestätigt, aber das Aufwärtsrisiko bleibt bestehen. Die Struktur der Rallye ist schlecht, angetrieben von ununterbrochenen Gaps, massiven Rallyes und kurzen Seitwärtsphasen, die praktisch frei von jeder Intraday-Preisfindung sind. Die Fundamentaldaten haben sich noch nicht spürbar verbessert, die multiple Expansion geht immer weiter, so dass sie auf immer aggressivere Interventionen der Zentralbanken angewiesen ist.
Meine Frage für 2019 war eine nach der Wirksamkeit, und es muss konstatiert werden, dass die Fed zwar ihr Inflationsziel seit über 10 Jahren verfehlt hat, es ihr aber weiterhin gelingt, die Vermögenspreise zu inflationieren.
Ich kenne kein Szenario in der Vergangenheit, wo diese Art von Bewertungen zeitgleich mit einem Quartalswachstum von etwa 1% des BIP nachhaltig sind, und im Kontext der oben gezeigten Charts stehe ich der Glaubwürdigkeit eines Breakouts skeptisch gegenüber. Die Volatilität ist zu gering, die offenen Gaps sind zu groß, die negativen Divergenzen zu zahlreich. Aber vorerst hat der S&P 500 unsere Verkaufszone von 3000-3050, die wir im Sommer festgelegt hatten, um 0,5% überschritten und nimmt Kurs auf unsere Verkaufszone für das Bullenszenario.
Ohne eine bestätigte Trendwende können die Märkte weiter steigen. Das von der Fed aufgespannte Liquiditätsnetz hilft den Märkten. Bei einer eventuellen Umkehr müssen die Bären ihre Stärke unter Beweis stellen und den SPX wieder unter die Marke von 3.000 drücken, da dieser Bereich nun als Unterstützung fungieren wird.
Vorerst behalten die interventionistischen Kräfte die volle Kontrolle, obwohl sich ein deutlich geringeres Wirtschaftswachstum im Jahr 2019 gegenüber 2018 wieder bestätigt: Die globale synchronisierte Intervention der Zentralbank scheint vorerst wieder zu funktionieren. Aber das Kernproblem: Die Märkte können sich nicht mehr höher bewegen, ohne dass die Zentralbanken immer zur Rettung eilen und das seit über 10 Jahren nicht mehr. Es ist ein Subventionsprogramm der Zentralbanken und das Gegenstück zu freien Kapitalströmen. Aufgrund den mangelhaften Fundamentaldaten in Kombination mit technischen Signalen, die nicht bestätigt sind, laufen die Märkte Gefahr, dass es zu einem Fakeout, also einem Fehlausbruch kommt.
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