Zwischen Reformbedarf und Investitionspotenzial: Deutschland vor der Bundestagswahl

Veröffentlicht am 17.02.2025, 09:17

Deutschland wirkt wie ein Paradox: Ressourcen und Know-how sind reichlich vorhanden, doch unzureichende Rahmenbedingungen bremsen das Wachstum und erschweren ein Ende der Krise. Ein wirtschaftliches Sanierungsprogramm ist dringend nötig. Vor der Bundestagswahl lohnt sich ein Blick durch die ökonomische Brille – und worauf Anleger bei der nächsten Regierung achten sollten.

Bundestagswahl dürfte die Märkte kaum bewegen

Die Bundestagswahl 2025 dürfte bereits weitgehend in den Kursen eingepreist sein. Investoren analysieren die politischen Entwicklungen seit Monaten, und die Finanzmärkte reagieren nicht erst am Wahltag, sondern antizipieren Veränderungen frühzeitig. 

Laut Umfragen liegt die CDU/CSU deutlich vorne, während die AfD voraussichtlich auf Platz zwei klettert. Die SPD ist deutlich zurückgefallen und liefert sich ein enges Rennen mit den Grünen um den dritten Platz. FDP, Die Linke und BSW kämpfen um die Fünf-Prozent-Hürde.

Besonders spannend sind drei Fragen: Wie stark wird die CDU/CSU abschneiden, welchen Koalitionspartner wird sie wählen, und reicht ein einzelner Partner für eine Regierungsbildung? Da Friedrich Merz eine Koalition mit der AfD ausschließt, könnte die Bundestagswahl in vier Jahren deutlich spannender werden – vor allem, wenn die AfD weiter an Zuspruch gewinnt.

Kurzfristige Marktreaktionen sind vor allem bei einem unerwarteten Wahlausgang oder zähen Koalitionsverhandlungen denkbar. Langfristig dürften makroökonomische Faktoren wie Zinsen, Inflation und die globale Konjunktur eine größere Rolle spielen.

Die aktuelle Lage im DAX

Der DAX jagte in der Woche vor der Bundestagswahl von Rekord zu Rekord, während die deutsche Wirtschaft weiter in der Rezession steckt. Diese vermeintliche Diskrepanz lässt sich leicht erklären: DAX-Konzerne erzielen den Großteil ihrer Umsätze im Ausland. In wichtigen Exportmärkten wie den USA, China und Frankreich läuft es zwar nicht perfekt, aber insgesamt besser als in Deutschland.

Globale Schwergewichte wie SAP (ETR:SAPG), Siemens (ETR:SIEGn) und Infineon (ETR:IFXGn) profitieren von Megatrends wie Digitalisierung, Automatisierung und erneuerbaren Energien. Wer ein realistisches Bild der deutschen Wirtschaftslage will, sollte auf MDAX und SDAX blicken. 

Mittelständische Unternehmen sind stark vom Inlandsgeschäft abhängig und spiegeln die wirtschaftliche Schwäche deutlich besser wider. Beide Indizes liegen weit unter ihren Rekordhochs und haben in den letzten zwölf Monaten nur einen Bruchteil der DAX-Performance erreicht.

Deutschlands Schuldenquote: Stabilität oder verpasste Chance? 

Die USA, Großbritannien, Japan, Italien, Frankreich und Kanada haben eines gemeinsam: Eine Staatsverschuldung von über 100 Prozent gemessen am BIP. Spitzenreiter ist Japan mit einer Schuldenquote von 250 Prozent – viermal so hoch wie in Deutschland. Italien mit 135 Prozent und die USA mit 123 Prozent sind etwa doppelt so hoch verschuldet wie Deutschland, das mit 63 Prozent eine vergleichsweise niedrige Quote aufweist.

Ja, viele Deutsche gelten als schuldenavers. Historische Erfahrungen wie die Hyperinflation der 1920er Jahre haben eine Kultur der Sparsamkeit und finanziellen Vorsicht geprägt. Auch heute sind sowohl private als auch staatliche Schulden im internationalen Vergleich eher niedrig. Bemerkenswert: Deutschland ist in unserem Vergleich das einzige Land mit einer rückläufigen Schuldenquote in den letzten 20 Jahren.


Staatsschuldenquoten. Quelle: IMF

Gezielte Investitionen statt Sparzwang

Es geht nicht darum, Schulden zu verharmlosen oder einen Schuldenexzess zu fordern. Doch der gezielte Einsatz zusätzlicher Mittel kann nachhaltiges Wachstum schaffen, Wohlstand sichern und sogar vermehren.

Wenn der Staat mehr ausgeben muss, stehen ihm zwei Wege offen: Kosten senken oder investieren, um langfristig höhere Erträge zu erzielen. Das kann ein kleiner Impuls oder eine umfassende strategische Neuausrichtung sein.

Kritiker betonen, dass allein für Straßen, Brücken und Schienen bis 2030 rund 372 Milliarden Euro Investitionen nötig sind. Doch solche Ausgaben setzen einen wirtschaftlichen Kreislauf in Gang, fördern Wachstum, schaffen Arbeitsplätze und machen Deutschland als Standort wieder attraktiver.

Das gilt auch für andere zentrale Herausforderungen wie Bürokratieabbau, Digitalisierung, Bildung und Fachkräftemangel, Energiewende, industrielle Wettbewerbsfähigkeit, Wohnungsbau, Zukunftstechnologien sowie Reformen im Renten- und Gesundheitssystem.

Der Staat setzt die Rahmenbedingungen und kann Anreize schaffen, damit Unternehmen investieren und Innovationen vorantreiben – denn letztlich entsteht Wachstum durch deren Produkte, Dienstleistungen und Innovationskraft.

Ein Gedankenexperiment

Im Jahr 2023 betrug das deutsche BIP rund 4,19 Billionen Euro. Eine Erhöhung der Schuldenquote um nur ein Prozentpunkt würde 41,9 Milliarden Euro freisetzen. Bei zehn Prozentpunkten wären es 419 Milliarden Euro, nahezu der gesamte Bundeshaushalt 2024 mit 465,7 Milliarden Euro. Um eine Schuldenquote von 101 Prozent wie Großbritannien – den vorletzten Platz im Vergleich – zu erreichen, müsste Deutschland rund 1,59 Billionen Euro zusätzliche Schulden aufnehmen. Selbst ein Bruchteil dieser Summe könnte jedoch genutzt werden, um dringend notwendige Investitionen anzustoßen, ohne die langfristige Stabilität der Staatsfinanzen zu gefährden.

Watchlist: Deutsche Aktien für Zukunftsthemen

Die deutsche Unternehmenslandschaft bietet ein breites Spektrum an Zukunftsthemen, die für Anleger besonders interessant sind. Viele Konzerne sind in Bereichen aktiv, die zentrale Herausforderungen und Chancen der kommenden Jahre adressieren. Von Digitalisierung über erneuerbare Energien bis hin zu Gesundheitsversorgung und Wohnungsbau.

  • ThyssenKrupp: Industriekonzern für Anlagenbau, Stahl und Infrastruktur.
  • Hochtief (ETR:HOTG): Baukonzern für Großprojekte wie Brücken, Straßen und Flughäfen.
  • Bilfinger (ETR:GBFG): Industriedienstleister für Anlagenbau und Instandhaltung.
  • SAP: Marktführer für Unternehmenssoftware und digitale Prozesse.
  • Software AG (ETR:SOWGn): Anbieter von Software für Geschäftsprozesse und IT-Integration.
  • Bechtle (ETR:BC8G): IT-Dienstleister für Infrastruktur, Cloud und IT-Security.
  • Siemens Energy (ETR:ENR1n): Technologieanbieter für erneuerbare Energien und Netze.
  • Nordex (ETR:NDXG): Hersteller von Windkraftanlagen.
  • Encavis (ETR:ECVG): Betreiber von Solar- und Windparks.
  • Vonovia (ETR:VNAn): Immobilienkonzern für Wohnungsbau und -verwaltung.
  • LEG Immobilien (ETR:LEGn): Wohnimmobilienvermieter und -manager.
  • Infineon: Halbleiterhersteller für E-Mobilität und Energieeffizienz.
  • Carl Zeiss Meditec (ETR:AFXG): Medizintechnik für Augenheilkunde und Mikrochirurgie.
  • Fresenius (ETR:FREG): Gesundheitskonzern für Kliniken, Dialyse und Pharma.
  • Siemens Healthineers (ETR:SHLG): Medizintechnik für Diagnostik und Labore.
  • Medios (ETR:ILM1k): Pharmaunternehmen für individualisierte Arzneimittel.

Fazit

Schulden allein lösen die strukturellen Probleme Deutschlands nicht. Doch im internationalen Vergleich verfügt Deutschland über große fiskalische Spielräume, um Wachstum zu fördern und Krisen abzufedern – nutzt diese Möglichkeiten bislang jedoch kaum.

Abhängig von den Prioritäten der neuen Regierung und dem Umfang geplanter Investitionen und Förderungen können Anleger die genannte Watchlist als Orientierung für ihre Investmententscheidungen nutzen.

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